Virtuelle Zusammenarbeit Britta Redmann

Konflikte lösen trotz virtueller Zusammenarbeit

Inhalt

Kommunikation ist unser höchstes Gut – uns über Sprach-, Entfernungs- und immer mehr auch Tool-Grenzen hinweg unterhalten zu können ist wertvoller denn je. Aber miteinander zu reden heißt noch nicht sich immer auch zu verstehen. Trotz aller Vorsicht und Rücksicht werden Missverständnisse häufiger. Bis zum Konflikt. Wie aber streiten wir virtuell? Kann man virtuell Recht sprechen, sich einigen, Frieden schließen?

Kommunikation auf Distanz

In den kommenden Monaten werden wir alle – insbesondere die Büromitarbeiter – noch nicht wieder regelmäßig an unserem Arbeitsplatz und auch vor allem nicht in der vor Corona gewohnten Häufigkeit auf unsere Kolleginnen und Kollegen treffen. Persönliche Kontakte, wie z.B. Besuche bei Kunden, größere betriebliche Veranstaltungen oder Treffen im Team, sind nach wie vor mit Vorsicht anzugehen und das Thema „Abstand“ schwebt über allen. Dies hat zur Folge, dass vieles aus unseren Arbeitsbeziehungen und in unserer Zusammenarbeit virtuell stattfindet. Meist über Videocalls, so dass nicht nur die Stimme sondern zumindest auch ein Gesicht meines Gegenübers oder meiner virtuellen Meeting Partner zu sehen ist.
Einfach großartig, dass die Technik diese Möglichkeit des zumindest virtuellen Kontakts so unkompliziert für viele von uns ermöglicht. Doch Technik ist nur die eine Seite einer gelungenen Kommunikation und damit auch eines gelungenen Miteinander. Sind wir doch alle Menschen und haben eine ganze Menge Emotionen in uns. Und die wollen manchmal einfach raus – egal ob es sich um Freude oder Glück handelt, sich jemand verletzt fühlt oder dem ein oder anderen auch mal der Kragen platzt.
Was bedeutet das also für den Umgang miteinander und vielleicht gerade auch für besondere Gesprächs- oder Verhandlungssituationen, wenn die Kommunikation nur virtuell stattfindet? Was bedeutet das vor allem auch für das Klären von möglichen Konflikten?

Mitarbeitergespräche virtuell – was ist anders?

Eines der häufigsten Gespräche, das im beruflichen Kontext geführt wird, ist sicherlich das Mitarbeitergespräch. Es kann sich dabei um ein Feedbackgespräch genauso wie um ein Gespräch nach einer längeren Krankheit oder auch um ein Gespräch zur persönlichen Weiterentwicklung handeln. Wie sonst – im persönlichen Kontakt – auch, bedarf es einer verbindlichen Verabredung (Terminierung) zu einem solchen Gespräch und einer Vorbereitung von beiden Gesprächspartnern darauf. Beide Gesprächspartner – oft wahrscheinlich Führungskraft und Mitarbeiter, in agilen Unternehmen vielleicht auch Mitarbeiter mit Mitarbeiter – sollten dafür Sorge tragen, dass auch ihr Gesprächsdokument für den anderen sichtbar ist. Auch dies ist bei den heutigen Kommunikationsanbietern für Videocalls kein Problem, den Bildschirm und damit Dokumente, die wesentlich für das Gespräch sind, zu teilen. Gleichermaßen können so auch transparent für beide Seiten die Gesprächsinhalte direkt festgehalten werden.

Inhaltlich unterscheidet sich ein solches Mitarbeitergespräch nicht vom bisherigen. Das Erfolgskriterium liegt jedoch – auch wie beim bisherigen Gespräch – nicht in dem Abhaken der Formalien sondern in der Art und Weise der Durchführung. Ob die Inhalte im Gespräch so transportiert werden können, dass diese vom anderen Gesprächspartner verstanden UND emotional akzeptiert werden können, hängt ganz entscheidend davon ab, wie es dem einen Partner gelingt, den anderen mit seinen Aussagen zu erreichen. Und dabei ist es völlig egal, ob es um Feedback, Weiterentwicklung, Gehaltsvereinbarung oder ein sogenanntes „Kritikgespräch“ geht. Und ob das gelungen ist, erkennt der aufmerksame Gesprächspartner an den Reaktionen seines Gegenübers. Diese Wahrnehmung ist im virtuellen Kontext maximal auf Stimme und das Gesicht beschränkt. Was nur teilweise erkennbar ist, ist sicherlich der Sinneseindruck von der gesamten Person, wie z.B. ihrer Haltung, ob sie insgesamt auf das Gespräch konzentriert ist oder sich ggf. ablenkt oder abgelenkt ist. Das lässt sich nicht beobachten und erkennen und da hilft im Zweifel nur, Unsicherheiten direkt anzusprechen. Heißt: im Zweifel nachzufragen.
Noch ein ganz wichtiger Aspekt – so profan er erscheint: bei schlechter Internetverbindung macht man kein Mitarbeitergespräche! Eigentlich macht man dann gar kein Gespräch, aber was für eine kurze Abstimmung noch gehen mag, funktioniert hier nicht. Angenehme Atmosphäre (ohne Kochtopf, Kind oder Straßenlärm im Hintergrund), ein gemeinsames Getränk und „gute Sicht“ auf das Gesicht des Gegenübers sind zwingende Voraussetzungen für inhaltliche Qualität.

Virtuelle Verhandlungen mit dem Betriebsrat oder virtuelle Tarifverhandlungen

Noch etwas anspruchsvoller als ein Mitarbeitergespräch zwischen meistens nur zwei Personen sind größere Verhandlungsrunden z.B. zwischen Geschäftsführung oder Personalabteilung mit dem Betriebsrat. Oder auch im noch größeren Stil, wenn z.B. Tarifverhandlungen geführt werden und hier dann auch noch Vertreter der Gewerkschaften oder auch Arbeitgeberverbandsvertreter mit dabei sind. Bei allen diesen Verhandlungsrunden treffen dann direkt mehrere Gesprächspartner virtuell zusammen, was die Sinneswahrnehmung für alle noch mal mehr einschränkt. Meistens sind solche Treffen zu wichtigen Verhandlungen auch nicht trivial: bei den Themen geht es also für beide „Seiten“ immer um einiges zu erreichen und es gilt oft, ganz unterschiedliche Interessenslagen miteinander zu vereinbaren. Ein Unterfangen, das schon bei persönlichen Zusammenkünften oft eine Herausforderung für alle darstellt und manchmal viel Zeit und viele Treffen braucht.
Auch hier unterschieden sich alle inhaltlichen Vorbereitungen und auch die Themenpunkte nicht von sonstigen Präsenzverhandlungen. Allerdings wird die reine Verhandlungssituation durch die ausschließliche virtuelle Sitzung noch einmal wesentlich erschwert. Zu einem geringen Teil vielleicht auch deshalb, weil wir es in diesen Konstellationen wenig bis kaum geübt sind, derlei Verhandlungen virtuell zu führen. Zu einem anderen Teil aber dadurch, weil z.B. die übliche nonverbale Kommunikation und Interaktion innerhalb und zwischen den Gruppen – z.B. ein Räuspern oder bestimmte Körpersprache – nicht möglich ist. Jeder sitzt ja „allein“ vor seinem Bildschirm, also auch getrennt von seiner „Verhandlungsgruppe“.

Wie streitet man virtuell?

Und wenn es dann doch mal kracht? Vielleicht weil ein virtuelles Meeting eskaliert oder ein Konflikt einfach geklärt werden muss? Wie bei persönlichen Konfliktklärungen auch, bedarf es eines aktiven Angangs, den Konflikt zu klären und möglichst für alle Beteiligten zu lösen. Konfliktklärungen sind immer mit Unsicherheiten verbunden und zwingen Menschen, ihre Komfortzone zu verlassen. Das setzt viele Gefühle frei. Es kommt zu verschiedenen und ganz unterschiedlichen Reaktionen wie Ablehnung, Rückzug, Beharren, Wut, Angst… Um Menschen in Konfliktlösungsprozessen zu unterstützen ist es wichtig, diese Gefühle ernst zu nehmen und sie nicht nur rational sondern auf einer emotionalen Ebene anzusprechen. Gefühle können nicht erzwungen oder gesteuert sondern nur respektiert werden. Für eine authentische Kommunikation und Begleitung in den Konflikten oder schwierigen Phasen ist das eine wichtige Voraussetzung. Auch hierbei macht es zunächst keinen Unterschied, ob der Konflikt virtuell oder persönlich ausgetragen wird. Allerdings ist es eben virtuell für die meisten von uns noch schwieriger, Reaktionen und Gefühle beim Gegenüber zu erkennen. Zudem ist es vielleicht auch etwas leichter, seine Gefühle virtuell eher zu „verstecken“. Fakt ist auch, es fehlt das Erleben des andern in der konkreten Situation – maximal gibt es nur ein virtuelles Bild von ihm. Hinzu kommt, dass es uns hier insoweit auch an Übung in unserer „virtuellen“ Wahrnehmung fehlt.

Es ist und viel geholfen, wenn wir um diese Beschränkungen wissen – bei uns und auf der „anderen Seite“. Lieber einmal mehr nachfragen als über ein Thema hinwegzugehen. Sich gerne auch einmal für 10 Minuten Pause gönnen und verbindlich wiedertreffen – denn die virtuelle Schnelligkeit und Nähe kann auch erdrückend sein. Es ist – wie im analogen Gespräch – nicht immer sofort eine Antwort zwingend erforderlich. Zeit zum Überlegen und zum überlegten Antworten darf und muss eingefordert werden. Digital darf nicht heißen „schnell, schnell.“ Und auch hier funktionieren Ortsveränderungen. Wenn jeder in seiner Komfortzone bleibt entstehen nämlich keine Perspektivwechsel! Kritische Gespräche führt man besser nicht am Küchentisch wenn es irgendwie möglich ist.

Was geht virtuell – was geht nicht virtuell?

Bei allen Gesprächssituationen gilt als Grundvoraussetzung: eine gleichberechtigte Kommunikation schaffen. Das bedarf in der virtuellen Kommunikation mehr Disziplin und ggf. auch Struktur. Letzteres kann durch die Festlegung von Gesprächsregeln vor einem wichtigen Videotermin unterstützt werden. Darüber hinaus haben sich diese Punkte z.B. als Erfolgskriterien erwiesen:
• gleicher Zugang zu Informationen,
• transparente Dokumentation der Gesprächsinhalte,
• Interesse am anderen zeigen, ihn fragen, wenn es nicht klar oder unsicher ist,
• aktiv und empathisch zuhören,
• Blickkontakt halten,
• präzise Formulierungen verwenden,
• den anderen ausreden lassen,
• durch Handzeichen signalisieren, wenn man reden möchte,
• sich auf den oder die Gesprächspartner konzentrieren,
• keine sonstigen Dinge nebenher erledigen,
• sich Zeit für das Gespräch nehmen,
• immer wieder überprüfen, ob das Verstandene auch das Gemeinte ist,
• längere Gesprächsinhalte zusammenfassen (aber bitte nicht aufzeichnen!!!),
• „ungute“ Gefühle ansprechen,
• Konflikte aktiv klären.

Was virtuell nicht geht:

Trotz Einhaltung aller Gesprächsregeln: Es ist einfach eine andere Atmosphäre, wenn man sich persönlich trifft. Auch wenn das esoterisch klingen mag: Die Energie ist einfach eine andere. Der persönliche Kontakt lässt mehr an Wahrnehmung zu, wie mein Gegenüber insgesamt reagiert und was er ausstrahlt. Diese Wahrnehmung ist beim Videocall einfach eingeschränkt und eine gemeinsame Atmosphäre gibt es mangels eines physischen gemeinsamen Ortes nicht. Manchmal mag es wirklich helfen, wenn sich insbesondere für Konfliktgespräche alle Beteiligten auf neutrales Terrain begeben – raus aus ihren Komfortzonen. Nicht zuletzt bliebt dann mein „home“ auch „my castle“. Virtuelle Hintergründe reichen da manchmal nicht aus.

Fazit:

Für alle ist diese Form der Kommunikation noch ungewohnt. Umso besser, dass wir dies jetzt bei vielen Gelegenheiten trainieren dürfen (oder müssen). Wir trainieren aktives Zuhören – eine sehr vergessene Eigenschaft in analogen Meetings und Gesprächen. Für viele ist es nicht vergleichbar mit den üblichen Kommunikationsformen mit persönlichem unmittelbarem Austausch. Für viele andere scheint es aber auch Chancen zu geben, sich einzubringen, was ihnen vielleicht bislang gerade im unmittelbaren Kontakt nicht so gut gelingt. Die „Begegnung auf Augenhöhe“ kann virtuell leichter fallen, wenn der Chef oder die Chefin nicht am angestammten Platz „über“ uns sitzt.


Ein letzter Aspekt mag die virtuelle Mediation sein – wenn wirklich Streit geschlichtet werden muss unter Einbezug Dritter. Mediation online ist diversitätsfreundlich. Wer Mediation diversity-gerecht gestalten möchte, wird schnell auf die Online-Variante kommen – zum Beispiel bei körperlichen Beeinträchtigungen.
Wie bei so vielen gerade diskutierten Themen – Home Office, Recruiting, Bildung – gilt auch für Konflikte: sie werden anders. Vielschichtiger: virtuell & analog.

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