Mein (vorzeitiges und unverblümtes) Urteil zu 2025: Die Arbeitswelt war ziemlich oft wie ein schlecht konfiguriertes Tool: viele Funktionen, wenig Klarheit und ständig das Gefühl, auf ‚Update später‘ gedrückt zu haben.
Menschen wollen flexibler arbeiten, Unternehmen müssen schneller reagieren, und gleichzeitig brauchen wir Orientierung, Sicherheit und klare Leitplanken. Wir treiben Buzzwords durch die Arbeitswelt, wünschen und New Work und scheitern an den eigenen Ansprüchen (oder der eigenen Unbeweglichkeit). Wir müssen Leistung bringen und Menschen führen, wollen dafür fair entlohnt werden, haben Respekt vor Verantwortungsübernahme und noch mehr vor dem Scheitern. Genau hier liegt für mich ruhige und vertrauensbildend und gleichzeitig doch dynamische Power des Arbeitsrechts: Es schützt, es ordnet, aber es ermöglicht auch.
2025 fühlte sich (auch wenn´s noch nicht ganz vorbei ist) für mich oft an wie ein Jahr im Wartemodus: bereit für Neues, aber gebremst von Unsicherheit und fehlenden politischen sowie unternehmerischen Entscheidungen. Das darf 2026 gerne anders werden!
Was das Arbeitsrecht dazu beiträgt?
Wir haben die Chance Strukturen zu erneuern, Fairness sichtbar machen und Arbeitsbedingungen schaffen, die wirklich zum Leben passen. Ich liebe diese Transformationszeiten, aber sie könnten ganz ehrlich gesagt ein bisschen mehr Fahrt aufnehmen. Transformation muss Veränderung mit Wirkungsrichtung und Ergebnis sein – kein Dauerprozess.
Also werfen wir einen Blick auf neue Rahmenbedingungen für unser Arbeiten im nächsten Jahr:
Höherer Mindestlohn
Der Mindestlohn steigt ab dem 1. Januar 2026 auf 13,90 Euro. Ziel dabei ist, die untersten Lohngruppen spürbar zu entlasten.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist der höhere Mindestlohn eine Stellschraube, die weit über die reine Lohnabrechnung hinausreicht. Für viele Unternehmen, besonders in personalintensiven Branchen, bedeutet er eine Neubewertung ihrer gesamten Vergütungsstruktur. Für Beschäftigte bedeutet er mehr finanzielle Stabilität in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten.
Wer arbeitet, muss davon leben können. Trotzdem wird mir die Debatte oft zu einseitig geführt. Ja, höhere Standards fordern Arbeitgeber heraus. Sie schaffen Strukturen, die langfristig fairer, transparenter und tragfähiger sind. Aber: Vergütung muss für alle Seiten fair sein. Für die, die ihre Arbeitskraft einbringen, und für die, die dafür bezahlen.
Das braucht auch eine klare Abgrenzung zu denen, die gar nicht arbeiten oder arbeiten könnten, es aber nicht tun. Eine Gesellschaft braucht einen finanziellen Abstand zwischen Erwerbstätigkeit und Nicht-Erwerbstätigkeit, sonst verlieren wir Motivation, Wertschätzung und Gerechtigkeit aus dem Blick. Nur an der Lohnstellschraube zu drehen, reicht deshalb nicht aus.
Ein höherer Mindestlohn ist richtig, aber er ist kein Allheilmittel. Wir brauchen ein Gesamtbild, das Fairness, Arbeitsanreize und wirtschaftliche Realität zusammenbringt.
Minijob-Grenze steigt – Flexibilität bleibt möglich
Die Minijob-Grenze steigt automatisch mit auf 603 Euro pro Monat. Auch das ist – unter den genannten Einschränkungen – eine konsequente Fortsetzung der Idee, dass Arbeit, auch geringfügige, fair vergütet sein muss.
Rechtlich bedeutet die Erhöhung vor allem eines: Arbeitgeber müssen genauer hinschauen. Arbeitszeiten müssen angepasst, Verträge aktualisiert und interne Prozesse überprüft werden. Für Beschäftigte bringt die Erhöhung echte Entlastung.
Flexibilität wird nicht durch Bürokratie zerstört. Sie braucht vielmehr kluge Regeln, die Missbrauch verhindern und Gestaltung erlauben. Genau das passiert hier.
Höhere Ausbildungsvergütung
Die gesetzliche Mindest-Ausbildungsvergütung steigt 2026 an.
Das ist gut und notwendig. Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass Ausbildung ein wertvoller Weg ist, und zwar fachlich und finanziell. Gleichzeitig verschiebt diese Erhöhung die Realität für viele kleinere Betriebe, die neu kalkulieren müssen.
Arbeitsrecht schafft nicht nur Pflichten. Es schafft auch Standards und Standards sichern Zukunft.
Eine gute Ausbildungsvergütung ist nicht nur ein Kostenpunkt. Sie bestätigt ein duales Ausbildungssystem, von dem unsere Wirtschaft gerade im Mittelstand seit Jahrzehnten profitiert und das Vorbild in vielen anderen Ländern geworden ist. Viel des Phänomens „Fachkräftemangel“ resultiert aus der Abwertung der Ausbildung. Das kann so zumindest ein Stück weit revidiert werden.
Aktivrente – Arbeiten im Alter neu gedacht
Mit der Aktivrente sollen Menschen im Rentenalter künftig bis zu 2.000 Euro pro Monat steuerfrei weiterarbeiten dürfen.
Puh… schwierig… Auf der einen Seite diskutieren wir politisch darüber, ältere Menschen länger arbeiten zu lassen und ihnen mit steuerlichen Vorteilen den Übergang schmackhaft zu machen. Auf der anderen Seite erlebe ich in der Praxis: Kaum ein Unternehmen stellt Menschen Ü50 noch ein. Und „teure“ Fach- und Führungskräfte werden häufig – gerade in 2025 habe ich diesen Prozess oft begleitet! – vorzeitig in den Ruhestand gedrängt.
Das passt nicht zusammen.
Wir können nicht gleichzeitig über Fachkräftemangel klagen und erfahrene Menschen systematisch aus dem Arbeitsmarkt drängen, um sie anschließend mit „Boni“ zum Weiterarbeiten zu motivieren. Hier braucht es echte Transformation, nicht kosmetische Anreize.
Platt gesagt: Nach dem 50. Geburtstag liegen bei den meisten Menschen noch einmal fast so viele Arbeitsjahre vor ihnen wie hinter ihnen. Wir sehen das nur nicht, weil wir Arbeit immer noch in starren Altersphasen und überholten Bildern denken.
Arbeiten Ü60 darf kein Bonusmodell sein. Es braucht eine echte Neubewertung von Tätigkeiten und Lebensphasen:
- Was können Menschen wann besonders gut?
- Welche Arbeitsformen passen zu welcher Phase?
- Wie gestalten wir Arbeitszeit so flexibel, dass sie Fähigkeiten statt Geburtsdaten in den Mittelpunkt stellt?
Da schließt sich doch irgendwie der Kreis zu meinem Buch zur „Lebensphasenorientierte Führung“. Vieles davon lässt sich problemlos auf Arbeit im Allgemeinen übertragen. Die Aktivrente kann ein Baustein sein. Aber ohne einen echten Perspektivwechsel bleibt sie Stückwerk.
Entgelttransparenz – Die Zeit des Wegsehens ist vorbei
Ich „predige“ es gerne immer wieder: Bis Juni 2026 muss Deutschland die EU-Entgelttransparenzrichtlinie umsetzen. Das betrifft uns alle sehr direkt.
Arbeitgeber müssen künftig schon im Bewerbungsprozess Gehaltsspannen offenlegen und Vergütungskriterien transparenter machen. Beschäftigte erhalten leichter Auskunft darüber, ob sie fair bezahlt werden. Und die Beweislast kehrt sich im Streitfall künftig um zugunsten der Arbeitnehmende.
Ich weiß: Transparenz macht Angst.
Aber ich weiß auch: Intransparentes Vergütungsmanagement ist langfristig viel riskanter.
Wenn wir jetzt beginnen, faire Strukturen aufzubauen, stärken wir die Unternehmenskultur, schaffen Vertrauen und verhindern Rechtskonflikte. Transparenz ist kein Kontrollinstrument. Sie ist ein Kulturthema.
Definitiv eine Pflichtaufgabe im HR-Hausaufgabenheft gleich zu Beginn von 2026.
Arbeitszeiterfassung
Im kommenden Jahr dürfte die neue Bundesregierung den Entwurf endlich wieder aufgreifen. Ziel ist, das bestehende BAG-Urteil in ein eigenständiges Zeiterfassungsgesetz zu überführenDas ist die klare Linie, die der Gesetzgeber und der EuGH vorgeben. Selbst wenn die nationale Umsetzung stockt bzw. politisch auf Eis liegt, gelten die europäischen Vorgaben weiter.
Ich weiß, wie heftig dieses Thema diskutiert wird. Besonders dort, wo Vertrauensarbeitszeit und Selbstorganisation schon lange gelebte Praxis sind.
Ich bin überzeugt davon, dass Arbeitszeiterfassung keine Flexibilität verhindert, wohl aber vor Rechtsrisiken schützt. Denn Flexibilität wird leider viel zu oft mit Willkür verwechselt.
Wenn wir Arbeitszeit modern denken, dann geht es um Autonomie und Schutz zugleich.
Es geht um ein System, das flexibles Arbeiten stärkt, statt es zu gefährden.
Für Unternehmen heißt das: Tools einführen, Führungskräfte schulen, Kultur neu ausrichten.
Für Beschäftigte heißt das: Klarheit, Fairness, Nachweisbarkeit.
Die Arbeitszeit der Zukunft ist unwillkürlich digital, flexibel und rechtssicher.
Quo vadis KI-Verordnung … und was bedeutet das für HR?
Wie genau die EU-KI-Verordnung (AI Act) am Ende in Deutschland ankommt, ist durch das laufende digitale Omnibusverfahren noch nicht endgültig sicher. Einige nationale Regelungen können sich verschieben oder abgeschwächt werden. Trotzdem bleibt eines klar: HR wird sich 2026 in einem neuen Ordnungsrahmen wiederfinden, je mehr KI im Unternehmensalltag Anwendung findet.
Gerade im Recruiting, bei Matching-Algorithmen, Leistungsbewertungen oder automatisierten Schichtsystemen gilt KI nach EU-Logik als Hochrisiko-Anwendung. Das bedeutet letztlich: Dokumentationspflichten, Transparenz in der Entscheidungsfindung, menschliche Kontrolle – und der Nachweis, dass keine Diskriminierung entsteht.
Für HR lassen sich drei klare Handlungsfelder ableiten, unabhängig davon, wie der Gesetzgeber am Ende formuliert:
1. Kompetenz aufbauen: Teams müssen verstehen, wie KI funktioniert – ethisch, technisch, rechtlich.
2. Einsatz prüfen: Jede KI muss bewusst ausgewählt, bewertet und begleitet werden.
3. Fairness sichern: Keine Blackbox-Entscheidungen über Menschen. Punkt.
Selbst wenn Gesetze noch wackeln, bleibt die Verantwortung unverrückbar. KI kann Prozesse smarter machen, aber nur, wenn wir Menschlichkeit nicht an die Technologie delegieren.
Tschüss 2025, hallo 2026
Wir reden seit Jahren von New Work und sitzen gleichzeitig auf Strukturen, die älter sind als manche Belegschaften. Kein Wunder, dass 2025 wie ein Wartesaal wirkte und nicht wie Wandel (vom Herbst der Reformen haben wir ja auch nicht wirklich etwas gespürt bis hierher).
Ich würde mir wünschen, dass wir in 2026 mehr Entscheidungen treffen und weniger weitermachen wie bisher. Vor allem müssen wir (und da nehme ich mich selbst nicht aus, vermutlich geht es euch ähnlich) raus aus dem Abwartemodus. Wann ist die Krise, der Krieg, der Präsident, das Klima, der Job, das Projekt vorüber, damit es losgehen kann.
Ganz ehrlich: NIE. Transformation ist zum Dauerbegleiter geworden, was nicht heißt, das man nicht einem übergreifenden Prozess (oder „Megatrend“) einzelne Schritte abschließen und feiern kann. Entscheidungen mutig treffen bedeutet eben auch abzuschließen, damit Neues kommen kann.
Ich habe mich beruflich nie für das Bewahren interessiert, sondern für das Weiterdenken. Arbeitsrecht ist dabei für mich die Leitplanke, die uns vor der Orientierungslosigkeit schützt. Und gerade deshalb kann es Innovation ermöglichen.
Ich bin überzeigt, dass wir auch in 2026 wieder die Chance haben, Arbeit so zu gestalten, wie wir sie wirklich brauchen.
Mit ganz viel humaner Intelligenz :-).
