Wenn es um Gehaltstransparenz geht, ist die erste Reaktion oft Skepsis. Viele denken sofort: „Dann wissen ja alle, was ich verdiene!“ oder „Am Ende hängt hier eine Gehaltstabelle am Schwarzen Brett.“ Andere befürchten, dass die Stimmung im Team kippt, weil alle nur noch vergleichen.
Vorurteile zuerst: Was Gehaltstransparenz nicht bedeutet
All das stimmt so nicht. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verlangt nicht, dass man gegenüber jedem Mitarbeitenden individuelle Gehälter offenlegen muss. Es geht auch nicht darum, Kolleg:innen gegeneinander auszuspielen oder private Informationen preiszugeben. Vielmehr soll Transparenz dort entstehen, wo Diskriminierung bislang unsichtbar bleibt. Ziel ist es, gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit durchzusetzen und das nachvollziehbar.
Politischer Stand – und warum jetzt Handeln zählt
Der aktuelle Referentenentwurf aus Oktober 2024 liegt in der Schublade des Familienministeriums. Eine eigens eingerichtete Kommission wird bis Herbst 2025 beraten, danach soll das Gesetzgebungsverfahren starten. Klar ist schon jetzt: Das bisherige Entgelttransparenzgesetz wird abgelöst. Die sogenannte „Angemessenheitsvermutung“ für Tarifregelungen fällt weg. Tarifverträge sind künftig nur noch ein Indiz – geprüft werden muss trotzdem.
Für tarifgebundene Unternehmen gibt es einzelne Erleichterungen, etwa den Verweis auf den Tarifvertrag statt der Angabe von Gehaltsspannen in Stellenausschreibungen. Gleichzeitig werden aber auch strengere Vorgaben gelten: Ungerechtfertigte Unterschiede müssen beseitigt werden, und zwar in festgelegten Stufenplänen.
Und ja, auch wenn das deutsche Umsetzungsgesetz („Entgelttransparenzgesetz II“) noch nicht verabschiedet ist, wird es kommen. Wer wartet, bis alles in Stein gemeißelt ist, riskiert Zeitdruck und Nachholbedarf. Vorsorge ist also angesagt und dafür habe ich für euch ein Mini-How-to vorbereitet auf Basis des aktuellen Kenntnisstands.
Schritt 1: Überblick verschaffen 🔭
Bevor man an neue Modelle denkt, braucht man Klarheit über den Status quo. Viele Unternehmen stellen erst bei genauer Betrachtung fest, dass ihre Vergütungsregelungen auf verschiedene Dokumente verteilt sind. Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und individuelle Arbeitsverträge liegen nebeneinander und ergeben bei genauer Betrachtung nicht unbedingt ein stimmiges Gesamtbild.
Das ist die Chance aktuell: Wenn man alles zusammenträgt, erhält man erstmals einen vollständigen Überblick. Erst dann könnt ihr beurteilen, wo Handlungsbedarf besteht. (Dass der besteht – sorry – wird in fast jedem Fall so ein. Das zumindest habe ich bisher überall so erlebt verbunden mit einem tiefen Seufzer, aber auch mit einem „nun – es muss ja wohl 😉).
Schritt 2: Analyse des Vergütungssystems 🔮
Mit dem Überblick fängt die eigentliche Arbeit an. Jetzt geht es darum, Unterschiede sichtbar zu machen. Dabei hilft es, Gruppen zu bilden, die sich nach Tätigkeit, Qualifikation und Verantwortung unterscheiden. Und auch, wenn das, was man in Step 1 vorgefunden hat, noch lange nicht nach „System“ aussieht: Jetzt wird eines draus 💪🏼!
Sobald man solche Vergleichsgruppen hat, gilt es zu prüfen, ob die Gehälter innerhalb dieser Gruppen auseinanderlaufen. Falls ja: warum?
Gibt es nachvollziehbare Gründe wie besondere Erfahrung, spezielle Kenntnisse oder einen anderen Marktwert? Oder handelt es sich um Unterschiede, die nicht erklärbar sind?
Genau hier finde ihr heraus, ob ihr ein faires System habt – oder ob es Baustellen gibt.
Schritt 3: Korrektur 📝
Ungerechtfertigte Unterschiede verschwinden nicht von selbst. Sie müssen aktiv beseitigt werden. In der Praxis heißt das fast immer: eine Anpassung nach oben. Kürzungen wären rechtlich kaum durchsetzbar und würden außerdem das Betriebsklima massiv belasten.
Auch wenn Gehaltserhöhungen zunächst teuer wirken, ist es langfristig die klügere Investition. Man reduziert damit Risiken, weil mögliche Schadensersatzforderungen entfallen. Gleichzeitig stärkt es das Vertrauen der Mitarbeitenden. Und Vertrauen ist eine Währung, die auf Dauer oft wertvoller ist als die kurzfristige Einsparung.
Schritt 4: Aufbau eines objektiven Bewertungssystems 🧮
Ein modernes Vergütungssystem lebt von klaren Kriterien. Dabei geht es nicht darum, jede Kleinigkeit in Zahlen zu pressen, sondern darum, nachvollziehbar zu machen, wie Entgelte zustande kommen.
Besonders wichtig ist, dass diese Kriterien geschlechtsneutral formuliert sind. Häufig werden Aspekte wie Fachwissen, Unternehmenskenntnis, soziale Kompetenz oder Handlungsspielräume herangezogen. Daraus lässt sich ein Raster entwickeln, das hilft, Tätigkeiten einzuordnen und in Entgeltgruppen zu überführen.
Das Gute daran: Mitarbeitende verstehen, warum sie in einer bestimmten Gruppe landen. Transparenz entsteht nicht nur durch Zahlen, sondern durch Nachvollziehbarkeit.
Schritt 5: Kläre Zuständigkeiten und Prozesse 🧭
Transparenz bedeutet nicht nur ein neues System, sondern auch klare Abläufe.
- Wer beantwortet künftig die Auskunftsansprüche der Mitarbeitenden?
- Wer ist für die Erstellung der verpflichtenden Berichte zuständig?
- Wie wird sichergestellt, dass Informationen verständlich und rechtzeitig kommuniziert werden?
Ein Blick in die Arbeitsverträge lohnt sich ebenfalls. Klauseln, die Mitarbeitende zur Gehaltsverschwiegenheit verpflichten, sind schon heute unzulässig und spätestens mit der neuen Gesetzeslage endgültig hinfällig.
Wenn diese Zuständigkeiten jetzt schon geklärt werden, schafft man Sicherheit – nicht nur rechtlich, sondern auch organisatorisch.
Schritt 6: Vorbereitung einer Kommunikationsstrategie 💬
Vielleicht der wichtigste Schritt überhaupt: Gehaltstransparenz ist kein reines Rechts- oder HR-Thema. Sie verändert die Kultur.
Es reicht nicht, eine neue Gehaltssystematik einzuführen. Mitarbeitende wollen verstehen, warum Dinge sich ändern und welche Folgen das für sie haben. Darüber kann (und muss!) man jetzt schon reden in offenen und strukturierten Dialogräumen (sonst passiert es in der Kaffeeküche oder im Teams-Chat…). Das nimmt Unsicherheit und stärkt das Vertrauen. Transparenz ist nur dann ein Gewinn, wenn sie mit Kommunikation verbunden ist.
How to – euer Fahrplan bis (allerspätestens!!) Juni 2026
1. Überblick verschaffen 🔭 | Einen vollständigen Überblick über alle Vergütungsgrundlagen schaffen, um den Handlungsbedarf klar zu erkennen. |
2. Analyse des Vergütungssystems 🔮 | Unterschiede sichtbar machen und prüfen, ob sie sachlich begründet oder ungerechtfertigt sind. |
3. Korrektur 📝 | Ungerechtfertigte Unterschiede aktiv beseitigen, Vertrauen stärken und rechtliche Risiken reduzieren. |
4. Aufbau eines objektiven Bewertungssystems 🧮 | Ein nachvollziehbares, geschlechtsneutrales System schaffen, das Transparenz und Fairness sicherstellt. |
5. Kläre Zuständigkeiten und Prozesse 🧭 | Verantwortlichkeiten festlegen und Abläufe sichern, um rechtliche wie organisatorische Stabilität zu gewährleisten. |
6. Vorbereitung einer Kommunikationsstrategie 💬 | Mitarbeitende durch offene Kommunikation einbinden, Verständnis schaffen und Vertrauen in das System fördern. |
Fazit: Keine Blaupause, aber eine große Chance
Viele hoffen auf eine Blaupause: ein fertiges System, das man einfach übernimmt. Aber genau das wird es nicht geben. Das ist auch ganz gut so. Denn kein Unternehmen ist wie das andere. Gehaltstransparenz gibt euch die Möglichkeit, ein System zu schaffen, das zu eurer Kultur, eurer Branche und eurem Team passt.
Natürlich ist es Arbeit. Aber es ist auch eine Investition in Fairness, Leistungsfähigkeit und Vertrauen. Unternehmen, die sich jetzt vorbereiten, sichern sich nicht nur rechtlich ab. Sie nutzen Gehaltstransparenz als strategisches Instrument für Mitarbeiterbindung, für Arbeitgeberattraktivität und für ein klares Profil im Wettbewerb um Talente.
Wer will schon ein System von der Stange? Ist es nicht reizvoller, ein Vergütungssystem zu entwickeln, das so einzigartig ist wie euer Unternehmen selbst?