Mehr Flexibilität ist nicht nur der Wunsch vieler Beschäftigter, sondern auch vieler Unternehmen. Die Arbeitswelt verändert sich – und damit auch unser Verständnis davon, wie, wann und wo Arbeit sinnvoll geleistet wird. Ob Eltern, Pflegende, Selbstständige, Gründer oder Führungskräfte – die klassische 9-to-5-Welt passt oft nicht mehr zu unseren Lebensrealitäten. Gleichzeitig brauchen Unternehmen Spielräume, um auf Marktveränderungen reagieren und eine bedürfnisorientierte Mitarbeiterstartgeie gestalten zu können.
Aber: Flexibilität darf keine Einbahnstraße sein. Nur wenn beide Seiten profitieren, wird aus Arbeitszeitgestaltung echte Zukunftsgestaltung. Genau das ist mein Ansatz – und der hat Bestand auch bei diesem erneuten Vorstoß zu einer Neureglung von Arbeitszeit: Arbeitszeitlösungen müssen den Menschen dienen – und den Unternehmen nützen. Bedürfnisse sind ein Tauschgeschäft und Zeit ist nun mal begrenzt.
Was bisher gilt
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) legt aktuell fest, dass Arbeitnehmer werktäglich nicht länger als acht Stunden arbeiten dürfen – mit Ausnahmen bis zu zehn Stunden täglich, solange ein Ausgleich innerhalb von sechs Monaten erfolgt. Das ergibt eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden (Montag bis Samstag). Auch Pausenregelungen, elfstündige Ruhezeiten und ein Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen sind gesetzlich geregelt.
Schon jetzt gibt es viele flexible Modelle – durch Tarifverträge, Arbeitszeitkonten, Schichtsysteme oder Vertrauensarbeitszeit. Letztere wurde durch das „Stechuhr-Urteil“ des BAG (2022) jedoch grundlegend verändert. Arbeitgeber sind seither verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem einzuführen – auch bei Vertrauensarbeitszeit. Eine gesetzliche Neuregelung lässt allerdings weiter auf sich warten.
Was kommen soll
Die neue Regierung plant eine Modernisierung des Arbeitszeitrechts mit zwei zentralen Zielen:
- Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll gesetzlich verankert werden. Dabei soll auch Vertrauensarbeitszeit erhalten bleiben – mit klarer Dokumentationspflicht.
- Die Debatte um die tägliche Acht-Stunden-Grenze soll neu geführt werden. Statt starrer Tageslimits rückt die wöchentliche Arbeitszeit von maximal 48 Stunden in den Fokus. Wie in Österreich könnten Beschäftigte an einem Tag länger arbeiten und an einem anderen frei haben – solange die Wochenarbeitszeit eingehalten wird.
Das klingt nach mehr Freiheit – aber es braucht klare Regeln. Gesundheitsschutz, Freiwilligkeit und Schutz vor Überforderung dürfen dabei nicht unter den Tisch fallen.
Die Chancen der Flexibilität
Für viele Beschäftigte ist mehr Flexibilität ein echter Gewinn: längere Tage, um an einem anderen Tag freizuhaben; eine 4-Tage-Woche bei gleicher Arbeitszeit; Gleitzeit, die zur Lebensphase passt. Für Unternehmen ist es ein Wettbewerbsvorteil: Wer auf individuelle Bedürfnisse eingeht, gilt als attraktiver Arbeitgeber.
Flexibilität macht Arbeitgeber interessant – für bestehende Teams und neue Talente. Sie ermöglicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Leben, schafft Motivation und fördert Loyalität. In der Praxis braucht es dafür aber nicht nur schöne Ideen, sondern belastbare Modelle: verlässliche Planbarkeit, faire Mitbestimmung und digitale Tools, die Transparenz schaffen.
Gute flexible Modelle sind nie ein Zufall, sondern das Ergebnis durchdachter Konzepte und echter Dialoge – genau dabei begleite ich Unternehmen und Betriebsräte.
Die Grenzen – berechtigte Bedenken
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen: Gewerkschaften und Mediziner warnen vor gesundheitlichen Risiken bei langen Arbeitstagen. Betriebsräte sorgen sich um Verlässlichkeit und die Gefahr, dass Flexibilität einseitig vom Unternehmen bestimmt wird.
Gerade für Eltern oder Pflegende kann eine Lockerung der Regeln zur Belastung werden, wenn sie nicht wirklich mitgestalten können. Und klar ist auch: Überstunden sind kein Beweis für Engagement, sondern oft für schlechte Planung. In vielen Ländern gelten sie als Zeichen mangelhafter Organisation.
Besonders wichtig: Die tägliche Erholung und planbare Freizeit müssen gesichert sein – sonst leidet nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Zufriedenheit im Job. Ohne klare Regeln wird aus Freiheit schnell Frust.
Und genau deshalb muss Flexibilität fair gestaltet sein – als echter Dialog auf Augenhöhe, mit klarer Verantwortung auf allen Seiten.
Mein Appell: Lasst uns mutig gestalten!
Die (erneute und eigentlich ja nicht wirklich bahnbrechend neue) Arbeitszeitdebatte in Deutschland zeigt, wie anspruchsvoll es ist, Tradition und Wandel auszubalancieren. Einerseits haben sich die Grundregeln – der Acht-Stunden-Tag und der Schutz vor Überlastung – über Jahrzehnte bewährt und tragen wesentlich zur Gesundheit und Planbarkeit für Arbeitnehmer bei. Andererseits verlangen der gesellschaftliche Wandel und die vielfältigen Lebensmodelle von heute nach passgenaueren Lösungen.
Flexible Arbeitszeitmodelle entfalten ihren Nutzen nur, wenn Schutzmechanismen – von Arbeitszeitkonten über Mitbestimmung bis zur digitalen Zeiterfassung – gewährleisten, dass die Flexibilität nicht einseitig zulasten der Beschäftigten geht. Gelingt dieser Spagat, dann kann Deutschland zu einem arbeitszeitpolitischen Vorreiter werden: mit Gesetzen, die Flexibilität und Sicherheit verbinden, und einer Arbeitskultur, in der Leistung nicht nach Stunden gezählt wird, sondern daran, wie gut sie ins Leben der Menschen passt.
Arbeitszeit ist mehr als ein Paragraf im Gesetzbuch. Sie ist Ausdruck unserer Werte, unserer Kultur – und unserer Vorstellung von guter Arbeit. Wir stehen an einem Wendepunkt:
- Zwischen Rückschritt und Fortschritt.
- Zwischen Kontrolle und Vertrauen.
- Zwischen starren Regeln und echtem Leben.
Wir müssen das Beste aus beiden Welten verbinden.
- Geben wir den Menschen mehr Gestaltungsspielraum, aber auch Verbindlichkeit.
- Ermöglichen wir flexible Modelle, aber mit einem klaren Rahmen.
- Denken wir Arbeit neu: nicht nur in Stunden, sondern in Wirkung, Sinn und Lebensqualität.
Denn am Ende zählt nicht, wie lange jemand arbeitet – sondern wie gut es zu den jeweiligen uns sich immer wieder ändernden Bedürfnissen passt. Für alle Seiten.
Eine Arbeitszeit, die wirklich was leistet – für Menschen und Unternehmen.