Wie wäre das: Morgens um 8:30 in Deutschland und keiner kommt zur Arbeit, – denn:
Lars (34) bringt seine zwei Kids erst in die Kita und fängt sowieso immer erst danach an. Dafür macht er dann abends länger bis meistens gegen 18:00. Katharina (28) arbeitet heute mobil, da sie ein längeres Wochenende mit Freunden beim Klettern verbracht hat und heute noch auf der Rückreise ist. Heinz (58) hat aufgrund der Pflege seiner Mutter eh eine drei Tage Woche und ist nur Dienstag, Mittwoch und Freitag im Haus. Christoph (42) ist gerade nur 1 mal die Woche – meistens Mittwoch – remote verfügbar, um sich wieder aus dem Sabbatical zu re-integrieren. (Er war gerade 3 Monate mit seiner Familie noch mal auf einer kleinen Europatour, bevor nun alle in die Kita bzw. in die Schule kommen.) Max, der duale Student, hat montags immer Uni und ist ebenfalls dienstags wieder da. Meistens schaut er aber nachmittags nach den Vorlesungen schon in seine E-Mails und ist – soweit dann erforderlich – ebenfalls remote ansprechbar. Kaspar (38) ist gerade aktuell in Elternzeit und erst in 5 Monaten für ein halbes Jahr wieder anwesend, danach nimmt er noch mal 6 Monate da er sich die Elternzeit abwechselnd mit seiner Frau teilt. Wahrscheinlich wird ab 9:00 Uhr Gitta da sein, denn sie arbeitet gerne die ersten Tage der Woche, um dann für den Rest flexibel zu sein. Sie ist in Teilzeit angestellt und zum anderen Teil arbeitet sie als selbständige Texterin und verfügt völlig selbst bestimmt über ihre Anwesenheit. Dann gibt es noch Gregor (52), und Lilly (25) sie sind „feste“ freie Mitarbeiter und arbeiten meistens von zu Hause aus zu oder wie es halt gerade passt…
Flexibilität für Mitarbeiter – eine Utopie?
Eine Utopie? Nur was für hippe Start Ups? Nur vorstellbar für kreative Wissensarbeiter und nix für produzierende Schichtbetriebe? Oder gar ein gezeichnetes Bild, das sich noch endlos weit in der Zukunft befindet (frühestens vielleicht, wenn dann das „Teilzeitbrückengesetz“ in Kraft tritt) und auf keinen Fall Ihr Business betrifft???
…Wie sollte es auch Ihr Business betreffen, denn dieses ist ja wahrscheinlich weder von den Prozessen noch von den Strukturen gar nicht darauf ausgerichtet, solch eine Vielfalt zu ermöglichen. Und überhaupt – wo kämen Unternehmen denn da hin, wenn sie für jeden ein individuelles Arbeitsmodell schaffen würden?? Wie soll das denn funktionieren?? Geschweige denn, wer soll das denn alles organisieren, so dass es trotzdem zusammenpasst??
Flexibles Arbeiten findet immer nur woanders statt…
Genau so wird in vielen Unternehmen (noch) gedacht. Neue Arbeitszeitmodelle, flexibles Arbeiten – ist schon irgendwie als Thema präsent, aber in der Umsetzung dann doch gedanklich eher etwas, das im Rahmen von #NewWork oder maximal in Start Ups stattfindet… oder ja, o.k., manchmal auch in einigen wenigen Großkonzernen. Und ja, na klar, sind das auch berechtigte Fragen die sich damit verbunden stellen: Wie gelingt es erfolgreich – für beide Seiten, den Betrieb und den Mitarbeiter – zeitliche Modelle und Verfügbarkeiten zu finden ohne dass einer unter der Bedürfniserfüllung des anderen leidet. Tatsache ist jedoch, dass hier die Begierde um „verfügbare Zeit“ und eine möglichst hohe Flexibilität auf beiden Seiten besteht. Die Ressource Zeit wollen alle.
Arbeitszeit, die immer passt
Mitarbeiter haben heute ein viel, viel größeres Verlangen nach selbstbestimmter und für sie selbst optimal verteilter und durchaus variabel gestalteter Arbeitszeit als noch vor einigen Jahren. Und ganz ehrlich: es ist dabei völlig egal, als was diese Mitarbeiter arbeiten, das betrifft die „Wissensarbeiter“ genauso wie den Kollegen, der in der Produktion am Band steht oder im Einzelhandel leistet. Die Sehnsucht danach ist die gleiche. Es ist schon jetzt so und wird Menschen immer wichtiger, werden über ihre Zeit möglichst frei verfügen zu können und (für die meisten) trotzdem sich in einer „sicheren“, stabilen Arbeitsbeziehung zu befinden. Also, selbst zu entscheiden, wann sie arbeiten und von wo aus sie arbeiten und dafür ein planbares Gehalt zu bekommen. Und auch das ist keine Frage einer bestimmten Generation oder eines bestimmten Alters, es betrifft wirklich viele, wenn nicht gar alle. Die Gründe sind vielfältiger Art: sei es, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen oder sich auch mehr kümmern zu müssen (Stichwort Kinder oder Pflege der Eltern), sei es um auch persönliche Auszeiten für sich selber nutzen zu können, wie z.B. Hobbies, Weiterbildung und Interessen oder eben einfach nur mal „Zeit für sich selbst zu haben“. Genauso fällt ins Gewicht, wie weit und wie zeitlich aufwendig ein Anfahrtsweg zur Arbeitsstätte ist und wie viel „Lust“ hier besteht, diese Zeit aufzubringen oder ob dies jeden Tag eher als Verlust von „Lebenszeit“ empfunden wird, die eigentlich besser genutzt werden könnte (vielleicht ja sogar auch für den Arbeitgeber?) .Zeit ist ein hohes Gut bei Mitarbeitern.
Dies bestätigen auch die aktuellen Tendenzen in tariflichen Vereinbarungen, in denen die Themen „Vergütung und Arbeitszeit“ immer stärker miteinander verknüpft werden (siehe hier z.B. die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie, der Chemischen Industrie, der Deutschen Bahn).
Die Sehnsucht ist die gleiche – egal welche Generation.
Demgegenüber stehen unternehmerische Bedürfnisse, die ebenfalls auf die Ressource „Mitarbeiterzeit“ ausgerichtet sind: Business schläft nicht und der rasante Wandel, der sich in unserer Arbeitswelt vollzieht, verlangt von Unternehmen eine immer größere Reaktionsgeschwindigkeit. Damit geht eine hohe Kundenorientierung einher und der Anspruch, Kundenwünsche schnell, optimal und am besten direkt zu erfüllen. Gab es vor einigen Jahren noch fest geregelte „Erreichbarkeitszeiten“, so gibt es heute „rundum Services“, die dem Kunden möglichst eine „All-time-Versorgung“ bieten. Und wenn es nicht das eigene Unternehmen anbietet, dann findet der Kunde die Erfüllung eben beim Mitbewerber. Der Druck ist hier also auch auf Unternehmensseite – gerade im Mittelstand – hoch. Mit herkömmlichen „nine-to-five“-Arbeitszeiten oder ähnlich starren Teilzeitmodellen wird es hier Betrieben nur schwer gelingen, diesen Ansprüchen an eine kundenorientierte Erreichbarkeit – nämlich immer dann, wenn es notwendig ist – zu genügen.
Mitarbeiter wollen selber bestimmen, wann sie arbeiten und von wo sie arbeiten.
Unternehmen wollen Mitarbeiter, die immer verfügbar sind.
Auf beiden Seiten besteht also ein hohes Bedürfnis nach Flexibilität und Entscheidungshoheit. Es wird zukünftig also verstärkt darum gehen (müssen), die verschiedenen Anliegen in Einklang zu bringen: Auf der einen Seite eine profitable Auslastung und eine verstärkte, fokussierte Kundenorientierung. Auf der anderen Seite, Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Gegebenheiten sowie Entscheidungshoheit in Sachen Arbeitszeit und Arbeitsort.
Mit Freiheit verbindliche Leistung schaffen
Das Bemühen, hier Lösungen für eine sehr bewegliche Arbeitszeit – die wirklich für alle passt – zu finden und zu gestalten ist bei den meisten Unternehmen noch recht zögerlich. Ein Grund könnte möglicherweise sein, dass viele Firmen noch eher in starren Stellen, Ordnungen oder Zeiten denken, statt in flexiblen Bereichen und Aufgaben. Eine solche Einstellung ist für die Gestaltung einer am Nutzen bzw. am Ergebnis orientierten Arbeitszeit nicht so hilfreich. Ein weiteres Motiv könnte sein, dass es wenig Blaupausen gibt, die einfach „eins-zu-eins“ übernommen werden können. Es bedarf hier schon eher individueller Möglichkeiten – sowohl für Unternehmen als auch auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen. Das erfordert schon kommunikativen, kreativen und planerischen Aufwand, der erst mal getätigt werden muss, – egal ob von der Führungskraft, der Personalabteilung oder vom Team.
O.k. letztendlich bleibt es ein bisschen Spekulation, warum sich Unternehmen bisher so wenig und auch wenig mit diesen neuen betrieblichen Gestaltungsräumen von Zeit und Ort beschäftigen. Viel wesentlicher ist sicherlich: warum sollten sie es überhaupt tun? Welche Erfolgskomponente verbirgt sich hinter einer möglichst vielfältigen und für beide Seiten vorteilhaften Arbeitszeitgestaltung?
Was haben Sie für Ihr Business davon?
Flexible Arbeitszeiten und ggf. viel Arbeitszeithoheit für Mitarbeiter muss die Firmen gleichzeitig wettbewerbsfähiger und stärker machen.
Ganz einfach: wenn Unternehmen wettbewerbsfähig am Markt sein wollen – und nicht komplett auf Robotik, digitale automatisierte Prozesse setzen wollen (und finanziell können) und wenn sie auch nicht vorhaben, ihren Standort ins Ausland zu verlagern – dann brauchen sie zur Verwirklichung ihrer unternehmerischen Ziele Mitarbeiter. Und in der Regel brauchen sie die besten Mitarbeiter. Solche, die hervorragendes Know-how haben, die mitdenken, die richtigen Entscheidungen treffen, die Lust auf Veränderung haben, die zuverlässig sind, die das Business „voran bringen“, die unkompliziert sind, die nie Ärger machen – geschweige denn krank sind-, die immer engagiert Höchstleistung vollbringen…. und natürlich, am besten auch solche, auf die Firmen langfristig bauen können (ja ich weiß, wir sind eigentlich in Zeiten des Wandels… aber es wäre doch trotzdem so schön, oder?)
Unternehmen wollen die besten Mitarbeiter.Die besten Mitarbeiter stehen auf flexible Zeiten.
Und Arbeitszeit ist einfach ein richtiger Vorzug mit dem Unternehmen bei Mitarbeitern und solchen, die es werden sollen, richtig punkten können. Mit Freiheit verbindliche Beziehung schaffen – oder anders ausgedrückt: mit flexiblen Arbeitszeitgestaltungen beidseitige Sicherheit erreichen. Denn: Mitarbeiter möchten letztendlich einen sicheren, stabilen Arbeitsplatz und Unternehmen brauchen, um dies auch leisten zu können, verlässliche Mitarbeiter.
Also liebe Unternehmen, wenn ihr die Besten haben wollt und die nun mal auf flexible Zeiten stehen, geht das Thema an.
Wunsch trifft auf Wirklichkeit
Wollen sich Unternehmen in puncto Arbeitszeit fit für die Zukunft machen, gilt es also kreative, arbeitszeitrechtliche Lösungen zu finden, die sowohl die unterschiedlichen Interessen berücksichtigen als – natürlich – auch rechtskonform sind.
Jetzt sind gerade die Diskussionen um das Thema „Arbeitszeit“ schon seit jeher ein sensibles Feld und wir bewegen uns in Deutschland hier in einem gesetzlichen Rahmen. Sämtliche Handlungen von Arbeitgebern hinsichtlich der Gestaltung und Vereinbarkeit bezogen auf die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter müssen sich an diesem Rahmen – konkret am Arbeitszeitgesetz – orientieren.
Puh! Bedeutet das, dann wird das doch nix mit der „schönen neuen Arbeitszeit für alle“?
Nein – es bedeutet nur, dass wir hier immer mehr weg von standardisierten Lösungen zu individuellen Vereinbarungen kommen müssen. Alternativ einen tariflichen oder betrieblichen Rahmen haben, in dem sich Unternehmen so bewegen können, dass sie genau diese individuellen Lösungen mit Mitarbeitern einfach und schnell (!) vereinbaren können.
Spielräume, die wir haben
Und wenn wir mal genau hinschauen, dann gibt es sogar schon seit einiger Zeit einen gesetzlich erlaubten betrieblichen Spielraum zur Arbeitszeitgestaltung. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Jobsharing. Das gibt es schon seit vielen Jahren und bietet für beide Seiten viel Freiräume, wird aber kaum genutzt. Genauso wie auch Arbeit auf Abruf, gleitende oder Vertrauensarbeitszeiten Möglichkeiten bieten können, hier insgesamt in Unternehmen mehr Flexibilität zu schaffen. Es kann auch sinnvoll sein, in einem Betrieb mehrere Modelle nebeneinander zu haben. Und was immer möglich ist, ist mit Mitarbeitern individuelle vertragliche Vereinbarungen zu treffen, die z.B. nur für bestimmte Zeiträume oder Lebenssituationen gelten.
Unternehmen werden in der Praxis nicht umhin kommen, hier neue Wege zu denken und wesentlich mutiger und kreativer zu sein als bisher. Gemeinsam mit den Mitarbeitern – direkt oder auch über Betriebsräte oder Tarifvertragsparteien – müssen Lösungen entwickelt werden.
Fazit
Ich will das Arbeitszeitgesetz sicherlich nicht schön reden – es ist eng und trifft einfach nicht mehr den aktuellen Bedarf der heutigen (und zukünftigen) Zeit. Doch wir brauchen um hier wirklich auch nützliche und sinnvolle (!) gesetzliche Änderungen vorantreiben zu können, vor allem betriebliche Entwicklungen und Erfahrungen, die hier in gesetzliche – bessere – Regelungen einfließen. Wenn Unternehmen nicht anfangen herauszufinden, was sie wirklich brauchen, um sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmensinteressen kulturell und wirtschaftlich sinnvoll übereinander zu bringen, dann wird dieses Problem der Gesetzgeber alleine nicht richten (und ich behaupte auch nicht sinnvoll richten) können. Daher braucht es die betriebliche Ausgestaltung in den Unternehmen selbst und ein Ausprobieren.
Dabei ist es ganz entscheidend wichtig, alle Interessen übereinander zu bringen. In der Konsequenz bedeutet dass, dass viel Arbeitszeitflexibilität und ggf. viel Arbeitszeithoheit für Arbeitnehmer Firmen gleichzeitig wettbewerbsfähiger und stärker machen muss. (Denn sonst klappt das auf lange Sicht nicht mit dem „sicheren, festen Arbeitsplatz“). Beide Ziele müssen gleichzeitig verfolgt werden, sonst gehen Firmen langfristig zu Grunde und das entspricht ja nicht den Sicherheitsbedürfnissen der Arbeitnehmer – und auch nicht dem der Gesellschaft.
Dieses kann meines Erachtens in der Praxis zur gelingen, wenn beide gestaltenden Partner (Mitarbeiter, Betriebsräte, Arbeitgeberparteien …) auch über Kompetenzen verfügen, die dieses Vorhaben unterstützen. Und dies sind vor allem Kreativität für Lösungen, Mut für die Umsetzung dieser Lösungen und auch eine Mediationskompetenz, um hier wirklich im beiderseitigen Interesse mit einem gemeinsamen Ziel zu agieren. Nicht zu vergessen auch gegenseitiges Vertrauen und ein Verständnis, dass Mitarbeiter in der Lage sind, ihre Arbeitszeiten weitgehend selbständig zu organisieren.
Agile Arbeitszeit ist eine Haltung – und dann klappt´s auch mit der Lösung.
Dieser Beitrag ist ein Beitrag im Blog Zukunft der Arbeit https://www.zukunftderarbeit.de/2018/06/28/auf-zu-neuen-galaxien/ – vielen Dank für diese Gelegenheit.
Quellen/Hinweise:
1) Redmann, Britta, Agiles Arbeiten im Unternehmen, Haufe 2017
2) Redmann, Britta, Geteilte Zeit ist Zeit für alle, Blog…
3) https://ze.tt/arbeiten-wann-man-will-oder-nur-fuenf-stunden-pro-tag-diese-firmen-testen-alternative-arbeitsmodelle/