In jüngster Zeit konzentrieren sich Unternehmen (wieder?) vermehrt darauf, „zusammen zu arbeiten“. Sind es in den Startups eher Organisationsformen wie Holocracy, Soziokratie u.a. sind es in etablierten Firmen vernetzte und agile Strukturen die sich durchsetzen. Allen diesen vernetzten und agilen Gefügen ist dabei eines gemeinsam: Das Team und nicht der einzelne Mitarbeiter rückt dabei stark in den Vordergrund. Doch was passiert, wenn es nicht mehr gut läuft? Was ist mit der dunklen Seite der Selbstorganisation und wer spricht dann die Kündigung aus?
Selbstorganisation: Wir sind alle Chef
Nicht mehr die Führungskraft ist damit diejenige, die „sagt wo es langgeht“ sondern das Team organisiert sich im besten Falle komplett selbst. So zumindest der Wunsch.
Praktisch zeichnen sich selbst organisierte Teams dadurch aus, dass sie weitestgehend autonom und eigenverantwortlich handeln. Sie bestimmen selbst über die Arbeitsinhalte, also was wann zu tun ist und wer am besten welche Aufgaben übernimmt. Das tun sie im agilen Umfeld sehr erfolgreich. So ergaben Studien dass bis zu 80 % Ergebnisse und Effizienz durch die Anwendung agiler Methoden gesteigert werden. Ein wesentliches Charakteristikum von agilen Methoden ist dabei die Selbstorganisation von Teams innerhalb fester Zeitspannen.
Was beinhaltet denn jetzt genau eine Selbstorganisation?
Es gibt hier keinen festgelegten Aufgabenkatalog oder eine „Stellenbeschreibung“ aber rein vom Prinzip her umfasst es ja alles das, was es braucht um selber bestimmen zu können, „was wann und wie am besten durch wen zu tun ist“. Also im Wesentlichen Entscheidungsfreiheit über
• Was ist zu tun und in welcher Reihenfolge?
• Bis wann?
• Mit wem und durch wen?
• Was braucht es hierfür noch?
Übersetzt in „Personalersprech“ heißt das:
• Arbeitsorganisation
• Personalauswahl
• Personalentwicklung
• Budget- und Ressourcenplanung
Das, was bislang wesentliche Aufgaben einer Führungskraft war, wird damit auf das Team verlagert. Soweit so gut. Läuft!
Und auf einmal kommt das Problem
Doch was ist, wenn es nicht läuft? Was ist, wenn Termine beim Kunden nicht gehalten werden können? Was ist, wenn z.B. eine Krankheitswelle das Team beutelt? Was ist, wenn das Team nicht über (vielleicht auch gefühlt) ausreichend Kapazitäten und auch nicht über ausreichendes Know How verfügt? Was passiert, wenn sich ein Teammitglied immer wieder „daneben benimmt“ oder sein Engagement auf mäßigem Niveau ist, im Vergleich zu dem der anderen?
Was also tun, wenn der – an manchen Stellen sicherlich – normale Arbeitsalltag auf das Team hereinbricht. Wie funktioniert das dann mit der Selbstorganisation?
Eine spannende Frage erst mal.
Wie war es denn vorher, – damals, als es noch eine Führungskraft gab? Die Probleme waren zumindest die gleichen – denn letztendlich gehören die oben beschriebenen Konflikte doch zu unserem „normalen“ Alltag. Nur durch eine Änderung der Zusammenarbeit lösen sich diese nicht auf. Was hat die Führungskraft getan? Sie hat die Themen gelöst – nur eben im Zweifel alleine durch bestimmte Führungsanweisungen (Stichwort Direktionsrecht).
Lösungen für auftretende Schwierigkeiten braucht es jetzt auch – nur eben zusammen, durch die Gruppe, gemeinsam, denn: „We are one team“!
Lösungen selbst organisiert
Wie können Lösungsmöglichkeiten für selbst organisierte Teams aussehen?
Vielleicht hilft ein Blick ins Gesetz. Gewisse Formen der Teamarbeit können Gruppenarbeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) sein. Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufes eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt. Der Betriebsrat hat hier ein Mitbestimmungsrecht, was die Aufstellung von Grundsätzen und die Durchführung – also die Art und Weise – der Gruppenarbeit anbelangt. Der Hintergrund dieser Mitbestimmungsnorm zeigt, dass sie Mitarbeiter vor „Selbstausbeutung und Abgrenzung schwächerer Gruppenmitglieder schützen soll“. Dabei sind Fragestellungen gemeint, wie z.B. ob Aufgaben geklärt sind, Gruppengespräche abgehalten werden, Entscheidungsprozesse in der Gruppe stattfinden oder auch unterschiedliche Leistungslevel von Mitarbeitern beachtet werden oder wie eine Konfliktlösung in der Gruppe erreicht werden soll. Gibt es also einen Betriebsrat in einem Unternehmen, dann empfiehlt sich hier, eine entsprechende Regelung (Betriebsvereinbarung) mit diesem über genau diese Regelungspunkte aufzusetzen, die es dem Team dann ermöglicht, innerhalb dieses Rahmens dann die erforderlichen Themen zu lösen und damit zu entscheiden.
Und ohne Betriebsrat?
Diese Vorgehensweise kann auch für selbst organisierte Teams in betriebsratslosen Organisationen eine Möglichkeit sein, im Vorfeld ihren Handlungs- und damit auch Entscheidungsspielraum festzulegen. Dann ist für alle Beteiligten auch der Verantwortungsrahmen klar.
Worst Case: Die Kündigung
Gilt das auch für Kündigungen? Die Trennung von Mitarbeitern, die ja in der Regel über eine Kündigung erfolgt, ist die Personalentscheidung, die Arbeitnehmer am härtesten trifft. Bedeutet Selbstorganisation dann in letzter Konsequenz auch einem Teammitglied zu kündigen? Und wenn ja, wer tut es, wenn im Prinzip alle Teil des Teams und damit „alle Chef“ sind?
Wie das BAG schon 1961 (!) ausführte: „Bei Arbeitsgruppen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG handelt es sich arbeitsvertraglich um eine Mehrheit unabhängiger Arbeitsverhältnisse.“ Die gemeinsame Tätigkeit der Arbeitnehmer in einer Arbeitsgruppe begründet daher keine vertragliche Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander. Jedes Gruppenmitglied kann unabhängig von den anderen sein Arbeitsverhältnis kündigen oder vom Arbeitgeber gekündigt werden.
Das bedeutet auf der anderen Seite, dass das Team als solches nicht kündigen darf sondern es hierfür einen – rechtlichen – Vertreter des Arbeitgebers bedarf. Und es bedeutet weiterhin, dass die Gruppe nicht das Recht hat, vom Arbeitgeber die Kündigung eines Kollegen rechtlich beanspruchen zu können.
Also doch nur „Schön-Wetter-Teams“ bei der Selbstorganisation?
Nein, das würde sicherlich nicht funktionieren. Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass eine Kündigung – in letzter Konsequenz – auszusprechen ist, dann liegt die Verantwortung und Aufgabe eines selbst organisierten Teams darin, im Vorfeld zu agieren: Soweit Schwierigkeiten mit einem Teammitglied sich anbahnen, gilt es hier sowohl moralisch im Sinne der Teamkultur damit umzugehen als auch eine rechtliche Einordnung vorzunehmen.
Was das bedeutet? Die im Team vereinbarten Mechanismen zur Konfliktlösung zu nutzen (z.B. Retrospektiven, Reviews, Feedback, etc.) und genauso rechtlich zu prüfen, ob Kündigungsgründe im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes vorliegen.
Fazit:
Selbstorganisierte Zusammenarbeit in Teams kann ein großer Erfolgsfaktor für ein Unternehmen sein. Das ist durch Studien belegt. Sich selbst als Team zu organisieren ist jedoch alles andere als eine „Schön-Wetter-Aufgabe“ sondern erfordert ein hohes Maß an Verantwortung und Abstimmung. Das gilt insbesondere für die Lösung von Konflikten. Allein durch die Änderung meiner Zusammenarbeit verschwinden alltägliche Problemstellungen (leider) nicht. Kompetenz ist entscheidend: Selbstorganisation erfordert eine starke Bereitschaft, sich mit Konflikten auseinanderzusetzen, unternehmerische Lösungen zu entscheiden und zu gestalten und sie unter Umständen als Gruppe auszuhalten: Wir sind eben alle Chef.
Quellen:
1) https://www.gpm-ipma.de/fileadmin/user_upload/Know-How/studien/Studie_Agiles-PM_web.pdf; Kienbaum Studie 2017 „All-Agile IT“
2) Redmann, Britta, Agiles Arbeiten im Unternehmen, Haufe 2017
3) https://teamworks-gmbh.de/6-regeln-fuer-die-selbstorganisation-von-teams-nach-prinzipien-der-natur-laufen/
4) BeckOK ArbR/Werner BetrVG § 87 Rn. 203
5) BT-Drucks. 14/5741, S. 47
6) BAG vom 23.2.1961, AP BGB § 611 Akkordkolonne Nr. 2