Work-Life-Balance, Unternehmenskultur und persönliche Entwicklung gewinnen an Bedeutung, während finanzielle Aspekte und ein „Arbeitsplatz fürs Leben“ in den Hintergrund treten. Körperliche und mentale Gesundheit sind wichtiger als Karriere und das Streben nach Erfolg. Die 40 Stunden Woche scheint ausgedient zu haben, während noch vor 20 Jahren die Absolvent:innen der großen Universitäten in Beraterjobs mit 60 bis 70-Stunden-Wochen gestürmt sind.
New Work ist die vermeintliche Antwort auf diese Trends – aber wer „macht“ dann eigentlich die Chefin oder den Chef?
Die Fakten
Die Arbeitszufriedenheit von Führungskräften ist im letzten Jahr auf globaler Ebene um 15 Prozent gesunken und das Burnout-Risiko steigt. Das ist längst nicht nur ein Ergebnis der internationalen Herbststudie 2022 des Future Forum Pulse.
In einer ebenfalls im Jahr 2022 erhobenen Studie der Initiative Chefsache ist ermittelt worden, dass insgesamt der Wunsch nach einer Führungsposition weiter gesunken ist: Nur 28,9 % der Beschäftigten in Deutschland wünschen sich, im Laufe ihres Berufslebens eine oder eine weitere Führungsrolle zu übernehmen – so wenige wie nie. Bei den Frauen ist im Vergleich zur letzten Befragung 2018 der Prozentwert um 12 % weiter auf nur noch 24 % gesunken. Und auch bei den Männern zeigt sich ein Rückgang um 12 %.
Eine repräsentative Umfrage zum gleichen Thema der Boston Consulting Group bestätigt dies. Hierzu wurden je 1000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland, Spanien, Frankreich und Großbritannien nach ihren Vorstellungen von guter Führung befragt. Dabei zeigte sich ein ähnliches Ergebnis: Rund zwei Drittel der Deutschen sind zwar zufrieden mit der Leistung ihrer Vorgesetzten. Selbst aber wollen die wenigsten Chef oder Chefin werden.
Wer braucht schon Führung?
Nun könnte man diesen Statistiken entgegnen, dass es in einer Arbeitswelt, in der Selbstorganisation und flache Hierarchien den Ton angeben, ja auch gar keine Führungskräfte mehr braucht. Das Problem löst sich also von selbst?
Keine Diskussion mehr um den Ort und die Zeit des Arbeitens, kein Neid auf Positionen und kein Titelbingo? So schön, so einfach – dieses New Work.
Man merkt schon – so ganz einfach ist es nicht. Und das nicht nur, weil arbeitsrechtliche Regelungen einem „völligen Laissez-faire“ in der Arbeitswelt einen begründeten Riegel vorschieben. Nein. Vielmehr auch, weil sehr viele Menschen so gar nicht arbeiten wollen. Wir propagieren Diversität in der Arbeitswelt. Damit meinen wir Vielfalt. Die hört nicht auf bei der Arbeitsorganisation. Vielleicht fängt sie sogar genau dort an.
Wir dürfen nicht verkennen: Vielfalt braucht weitaus mehr Führung als es der „Standard“ gebraucht hat. Besser gesagt: Vielfalt braucht eine andere Art der Führung, die aber durchaus herausfordernder ist als die alte „Kontrolle“, und auf die wir erheblich schlechter vorbereitet werden. Weder das Bild des gestressten Topmanagers noch das der Karrierefrau, die möglichst viele Rollen unter einen Hut bekommt, machen Lust auf Führung.
Führung schafft Sicherheit
Zu Beginn der Coronapandemie sind wir in neue Arbeitsorganisationsmodelle gestolpert. Trotz des Ernsts der Lage hatte das viel von Aufbruch, Improvisation, Spaß und „Neulust“. Die Führungskräfte sind oft als Kapitäne auf dem Schiff (im Büro) geblieben, während die Mannschaft von zu Hause aus das operative Geschäft gerockt hat. Die eine Führungskraft hat das sicher besser gemeistert als die andere. Aber das Konstrukt insgesamt hat sich sehr innovativ angefühlt. Vor allem hat vieles besser funktioniert als vielleicht erwartet.
Unsere Arbeitswelt ist aber eben nicht „nur“ in ein kleines Unwetter geraten. Wir haben – gewollt oder ungewollt und mit Sicherheit beschleunigt durch Corona – einen neuen Kurs eingeschlagen.
Dafür braucht es Kapitän:innen, die diesen neuen Kurs neugierig und mutig weiterverfolgen – nicht zuletzt, weil die Mannschaft den Kurs sonst gar nicht halten kann. Denn auch die Teams haben zwischenzeitlich festgestellt, dass Homeoffice und Selbstorganisation sich einfacher anhören als sie in der Praxis sind. Es gilt Arbeitsplätze außerhalb des Büros so einzurichten, dass sie auf Dauer gut funktionieren. Dafür muss jemand zuständig sein. Dazu gehört technische Sicherheit, zeitliche Sicherheit, rechtliche Sicherheit und eben auch die Sicherheit zu wissen, wer mit an Bord ist. Dafür brauchen Menschen Ansprechpartner, Verantwortliche und Kommunikatoren. Nicht zuletzt können wir Emotionen kaum aus dem Arbeitsalltag eliminieren. Führung gibt auch einen mentalen Halt für viele Mitarbeitende. Das wiederum bedeutet ein neues, sehr vielfältiges Jobprofil für die Führungskraft – und zwar eines, auf das kaum ein Studium oder eine Ausbildung vorbereitet.
Je unsicherer unsere Umwelt wird, desto mehr wird Sicherheit in der Arbeitswelt wieder ein wertvolles Gut. Die Berufswünsche junger Menschen zeigen das – Jobs im öffentlichen Dienst erleben eine Renaissance, die wir uns noch vor ein paar Jahren, als New Work noch der Sehnsuchtsort in der Ferne war, kaum vorstellen konnten.
Veränderung ist unsere ständige Begleiterin geworden im Arbeitsalltag. Sie zu managen obliegt den Führungskräften. Dieser Anspruch an Führungskräfte ist immens hoch!
Von der klassischen zur dynamischen Führung
Es geht nicht mehr nur darum, Kennzahlen erreichen. Es geht darum, den aktuellen Anforderungen zu entsprechen, sich zukunftsfähig aufzustellen und dabei den gewünschten Erfolg zu generieren. Selbstverantwortung sowie unternehmerisches Denken und Handeln bei Mitarbeitenden zu stärken, generationenübergreifende Zusammenarbeit zu fördern oder Betriebe erfolgreich zu digitalisieren, gelingt eben nicht per Dekret. Dieses veränderte und erweiterte Verständnis von Leistung vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Faktoren führt dazu, dass die klassischen Steuerungssysteme nicht mehr ausreichen: Weder traditionelle Zielvereinbarungen, Mitarbeiterjahresgespräche oder Beurteilungssysteme noch weitere heute existierende zahlengesteuerte Instrumente werden hier greifen. Und: Nicht nur Leistung alleine, sondern auch die Leistungsfähigkeit von Beschäftigten und ein soziales nachhaltiges Zusammenarbeiten trägt entscheidend zur Zukunftssicherung von Unternehmen bei. Das gilt für die körperliche Leistungskraft genauso wie die stetige Freude an Innovation und Veränderung. Ebenso wie eine Verbindlichkeit, die nicht allein vertraglich hergestellt, sondern die vornehmlich auf einem gleichen Werteverständnis und damit auf einer intrinsischen Motivation heraus beruht. Führung umfasst also längst nicht (mehr) nur das Managen von Leistung, sondern insbesondere die Anpassung an Veränderungen und damit die Fähigkeit, mit den Herausforderungen von heute und morgen erfolgreich umgehen zu können. Werte bekommen in diesem Kontext eine wesentliche Bedeutung und prägen die Unternehmenskultur.
Fazit
Die Gründe, die gegen eine Führungsposition sprechen, sind vielfältig. Mangelnde Vereinbarkeit, Vereinsamung bzw. Isolation und fehlende Teamkommunikation, gesundheitliche, emotionale und zeitliche Belastung sind hier von hoher Bedeutung. Sie sind weitaus gravierender als Anerkennung, Karriere, Geld und Titel. Aber auch die Tatsache, dass Führungskräfte Menschen mit den gleichen Ängsten und der gleichen Unsicherheit sind wie alle Menschen.
Hier hat sich unsere Arbeitswelt tatsächlich verändert. Die Bedürfnisse haben sich verändert. Erst wenn wir das verstehen, können wir Führung wirklich neu denken. Die alte Arbeitswelt hat Führungskräfte eher als Institution denn als Mensch betrachtet. Die neue Arbeitswelt braucht einen neuen Blick auf Führung und Führungskräfte!
So lange wir mit Menschen arbeiten wollen, als Mensch führen wollen und von Menschen geführt werden wollen, müssen wir bedürfnisorientiert agieren.
Das heißt eben auch, dass wir Führungskräften die gleichen Bedürfnisse zugestehen wie allen anderen. Es bedeutet, den Menschen in seiner Führungsaufgabe mit seinen Bedürfnissen, Interessen, Wünschen zu kennen, damit er seine Führungs-Aufgabe kraftvoll und engagiert erfüllen kann und Führung auch für ihn selbst attraktiv ist.
Auszeiten, sichere Rückzugsorte, eine gelebte Fehlerkultur, Modelle des Zusammenarbeitens und Angebote zum Coaching und Sparring sind nur einige Elemente, die Führung (wieder) erstrebenswert machen können.
Wir brauchen Kapitän:innen, die Führung attraktiv gestalten. Das macht Teams zukunftsfähig!
Quellen:
Future Forum Pulse. Executives feel the strain of leading in the ‘new normal’; https://futureforum.com/wp-content/uploads/2022/10/Future-Forum-Pulse-Report-Fall-2022.pdf
Initiative Chefsache: Karrierezuversicht sinkt auf einen Tiefstand, https://initiative-chefsache.de/karrierezuversicht-sinkt-auf-einen-tiefstand/
Lebensphasenorientiertes Leadership – Wie Führungskräfte eigene Auszeiten vorbereiten und umsetzen können, Redmann, Britta, Haufe, 2023