„Bei SAP dürfen die Beschäftigen zukünftig selbst entscheiden, von wo aus sie arbeiten wollen.“ trifft auf „Für die eigene Arbeit aber, urteilte Netflix-Boss Hastings, sei es „rein negativ, nicht persönlich zusammenkommen zu können, besonders international. Ihm falle kein einziger Vorteil ein.“
Brave New Worklife?
Das ist sie also jetzt – die schöne neue Arbeitswelt. Irgendwo zwischen absoluter Freiheit in der Wahl des Arbeitsortes und der Rückkehr ins Büro liegt die Wahrheit. Denn so extrem diese beiden Standpunkte klingen – bei näherer Betrachtung werden sie doch auch wieder relativiert.
Und auch aus Mitarbeitersicht ist das Bild keineswegs eindeutig: Während sich ein Teil der Wissens- und Büroarbeitenden jetzt endgültig im Home oder mobilen Office eingerichtet hat, warten andere sehnsüchtig auf die Rückkehr in die bekannte Arbeitsumgebung.
Genau in diesem Spannungsfeld finden aktuell meine Beratungen zu mobilem Arbeiten und hybriden Regelwerken statt. Sowohl Arbeitgeber wie auch Mitarbeitende sind durchaus darauf bedacht, das Beste aus beiden Welten in ein „New Normal“ zu retten und dort zu einem neuen, besseren Arbeiten zu vereinen. Allein das Verständnis davon, was denn nun das Beste sei – darüber gibt es doch die eine oder andere Differenz.
Distanz versus physische Anwesenheit
Wie bei den Extrempunkten des reinen Arbeitens auf Distanz und dem klassischen Bürojob gibt es auf der Soll und der Habenseite eindeutige Vor- und Nachteile, über die kaum Regelungsbedarf besteht.
Hybrides Arbeiten – die Vorteile
• Reduktion der Wege-, Reise und Wartezeiten
• Positive Effekte im Blick auf die Klimabilanz bei Verzicht aufs Auto
• Mietkosteneinsparungen bei Büroimmobilien.
Hybrides Arbeiten – die Nachteile
• Reduktion des emotionalen und empathischen Austauschs
• Vermischung von Work und Life
• Mangelende technische und räumliche Ausstattung zu Hause.
Aber stopp mal – sind die genannten Vor- und Nachteile wirklich so eindeutig? Denn hat nicht die Reduktion der Mietkosten auch wieder Einfluss auf unsere Wirtschaft? Sind wirklich alle Büros technisch top ausgestattet? Ist diese Vermischung schlimm?
Man sieht also schon an den vermeintlich klaren Beispielen, dass die Etablierung eines hybriden Arbeitskonzepts komplex ist. Und dann kommen noch eine ganze Menge regelungsbedürftige Details dazu wie Kernarbeitszeiten, Mindestbüroanwesenheit, Dokumentationspflicht …
In allen Fällen hat dies sehr viel mit Selbstorganisation und Übernahme von Verantwortung zu tun – auf allen Seiten! Genau das haben wir uns von einer neuen Arbeitswelt gewünscht! Und jetzt, wo wir mittendrin sind, funktioniert so einiges an Prozessen – seien sie geliebt oder gehasst – doch nicht mehr so reibungslos, wie man sich das vorgestellt hat. Wir werden unsicher und fallen zurück in alte Denkmuster.
Vertrauen als Basis
Denn diese Selbstorganisation und diese Verantwortung brauchen immer ein Basis: Vertrauen! Das konnten wir nur bedingt aufbauen in dieser Zeit der Krise, in der wir viel zu oft aus unterschiedlichsten Gründen im Notfallmodus agiert haben. Angst ist kein guter Begleiter, wenn es um den Aufbau von Vertrauen geht. Mehr denn je müssen sich Teams gegenseitig und müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitenden vertrauen.
Warum ich dann hybride Arbeitskonzepte (und schriftlich fixierte Regeln) mit Unternehmen entwickle, wenn doch Vertrauen die Basis allen Gelingens ist? Na genau darum! Weil solche Konzepte die Leitplanke sind, innerhalb der wir uns sicher fühlen dürfen. Innerhalb der wir diese neu gewonnene und noch zu trainierende Selbstorganisation gemeinsam lernen dürfen.
Hybrides Arbeiten braucht angstfreie Trainingsräume
Neben Vertrauen ist Kommunikation hier der Schlüssel zum Erfolg. Daher entstehen solche Leitlinien am besten auch immer unter Beteiligung aller Vertragspartner (oder Teammitglieder) im Unternehmen. Nur deren Einhaltung (und da braucht es Disziplin!) garantiert eine neue Art von Freiheit. So paradox das klingt, so komplex ist es auch. Diese schöne neue Arbeitswelt ist eben eine, die jedem einzelnen mehr abverlangt als zuvor, um auf Dauer wirksamer zu sein. Frithjof Bergmann ist in den letzten Wochen ausreichend oft zitiert worden. Aber gerade in meinen aktuellen Coachings merke ich, das wir erst jetzt da ansetzen, wo es weh tut – wo wirklich Veränderung stattfindet. Es ist weder getan mit „alle dürfen arbeiten wo sie wollen“ noch mit „wir müssen alle zurück ins Büro“.
Ein Blick in die große hybride Welt
Wenn man sich die Leitplanken der Großkonzerne weltweit anschaut, dann ist das aktuell quasi ein Blumenstrauß an Zeit-, Vergütungs- und Ortsmodellen:
• Microsoft: Ziel sei es, das Homeoffice als Standard für die meisten Jobs einzuführen, aber nur „in Teilzeit (weniger als 50 Prozent)“.
• Porsche: Jeder könne an bis zu zwölf Tagen im Monat arbeiten, wann, wo und wie er will, solange das Arbeitsergebnis stimmt. Ob „im Ferienhäusle in Oberbayern oder im Café nebenan, das ist uns letztlich egal“. Nebeneffekt: Kosten sparen. 2025 will Porsche nur noch Schreibtische für 60% der Büromitarbeiter vorhalten müssen.
• Die Deutsche Bank plant ein Modell, in dem die Mitarbeiter tageweise nach eigener Wahl von zu Hause arbeiten dürfen, dies aber über ihre Vorgesetzten kommunizieren. Man glaubt, dass die Flexibilität dann zwischen 40% und 60% liegt.
• Allianz: der Versicherungskonzern legt sich nicht auf eine starre Homeoffice-Quote oder Sparziele für Büroflächen fest. Im Zentrum stünden die Bedürfnisse der Mitarbeiter, die Vorgesetzten müssen loslassen können.
• Google: 1.09. als Stichdatum für Homeoffice ohne Rücksprache. Wer danach noch mehr als 14 Tage von zu Hause aus arbeiten will, muss das beantragen. Außerdem erwartet das Unternehmen von seinen Angestellten, innerhalb einer Pendeldistanz zu Büros zu leben.
• Facebook: Mobiles Arbeiten ist die Zukunft, aber man sucht das gesunde Maß für die Aufteilung der Arbeitsplätze noch. Grundsätzlich sollen die Angestellten selbst entscheiden, auch darüber, wo sie sich niederlassen wollen. Allerdings wird immer nur der örtliche Arbeitslohn bezahlt.
• Spotify: Regelwerk “Working from Anywhere”. Alle Angestellten sollen gemeinsam mit ihren Vorgesetzten flexibel über die passende Mischung aus Heim- und Büroarbeit entscheiden, bei Bedarf bezahle das Unternehmen auch die Miete für einen Coworking Space. Theoretisch könnten sich die Spotify-Angestellten überall auf der Welt niederlassen, müssen sich aber auf eine Zeitzone festlegen, die auch zur Kommunikation mit den Kolleginnen passt.
• Twitter: Nach der großen Ankündigung „Home Office für immer“ schränkte das Unternehmen ein, es hänge von der Situation und der konkreten Rolle der Beschäftigten ab, ob sie wirklich so frei entscheiden können. Von der Mehrheit erwarte Twitter auch künftig, dass sie zumindest ab und zu im Büro Präsenz zeigen.
Die Daten dieser Konzerne mögen nicht passgenau sein für ein mittelständisches Unternehmen hier vor Ort Aber sie können uns Ideen vermitteln, welche Regelungen (und welche Freiheiten) sich Menschen künftig geben möchten. Die Arbeit an der Unternehmenskultur, solche neuen Konzepte in den Alltag zu übertragen, wird in jedem Team vergleichbar anstrengend sein. Denn das Ergebnis macht man mit den unmittelbaren Kolleginnen und Kollegen aus! Hier entstehen Vertrauen und neue Organisationsformen, aber eben auch Diskussionen, das Getuschel oder der Neid.
Fazit – es ist komplex (oder eben hybrid)
Was deutlich wird: es wird nicht DEN einen Wert geben, die uns prozentual den hybriden Weg Richtung neue Arbeitswelt weist. Auch Zahlen und Quoten können der notwendigen Selbstorganisation und dem gemeinsamen Willen, etwas Neues kreieren zu wollen, nur einen Anhaltspunkt geben. Wenn der Kollege sich vom physischen Meeting entschuldigt und via Videocall teilnimmt, dann muss das Team annehmen, dass er dafür triftige Gründe hat. Umgekehrt gilt das natürlich auch, wenn ein Meeting vor Ort geplant wird. Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende innerhalb des gemeinsam gesteckten Rahmens planen, kommunizieren und reflektieren, welche Arbeit wann und wo sinnvoll ist, dann muss das Ergebnis solcher Überlegungen Konsens sein und Bestand haben – Sicherheit bieten! Nicht zuletzt ist diese neue Form des Arbeitens für Führungskräfte aufwendiger denn je. Auch dem muss das Einhalten getroffener Absprachen Rechnung tragen.
Ich bin bei Jeff Bezos, der sagt „Ein Team rockt eben nicht so gut zusammen, wenn nicht alle in einem Raum sind.“ Aber für mich muss dieser Raum im Gegensatz zum Amazon-Chef kein Bürogebäude sein. Es sollte und darf sehr gerne ein hybrider Kulturraum sein – und den gilt es zu gestalten.
Quellen:
https://www.manager-magazin.de/unternehmen/homeoffice-diese-firmen-sehen-mobiles-arbeiten-als-dauerloesung-und-diese-als-irrweg-a-7ee297d2-b87a-4a81-af63-4812fb45bac8
https://www.wiwo.de/erfolg/management/beschaeftigte-haben-die-wahl-sap-arbeiten-von-wo-auch-immer/27245910.html
https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/arbeitswelt-nach-corona-hybrides-arbeiten-ist-sicherlich-die-anstrengendste-form/27212258.html
https://newwork.wondercards.world/hybrid-work/