- Lösungsräume im Arbeitsrecht (und vielleicht auch in der Politik)
Als Anwältin und Mediatorin stehe ich oft an der Schwelle zweier vermeintlich gegensätzlicher Welten: Auf der einen Seite die der Rechtsprechung, mit der man urteilen und gewinnen (aber eventuelle auch Mauern ziehen) kann, auf der anderen Seite die „sanfte“ Methode der Mediation, die darauf abzielt, Brücken zu bauen.
Beide Wege führen zum Recht – ein Gegensatz besteht im Ergebnis von außen betrachtet also nicht. Doch sie unterscheiden sich grundlegend darin, wie dieses Recht erreicht und – wesentlich! – empfunden wird.
Ich habe im Laufe meiner beruflichen Laufbahn unzählige Konflikte begleitet und erlebt, wie das Durchsetzen von Ansprüchen im Gerichtssaal für den einen den Sieg, für den anderen jedoch oft die Niederlage bedeutet. Doch was, wenn es einen anderen Weg gibt? Einen Weg, bei dem alle Beteiligten nicht nur gehört, sondern auch verstanden werden? Einen Weg, der nicht nur das Recht spricht, sondern es auch gemeinsam formt und verankert?
Mediation ist für mich mehr als nur ein Verfahren – es ist eine Leidenschaft. Es ist der Raum, in dem Menschen ihre Differenzen überwinden, in dem Austausch und die Kommunikation zusammen zu einer Lösung finden, die weit über ein Urteil hinausgeht. Eine Lösung, die nachhaltig ist, weil sie gemeinsam erarbeitet wurde und daher von allen mitgetragen wird.
Wenn wir gemeinsam Recht gestalten, hat es eine ganz andere Kraft. Es motiviert, es bindet, und es schafft nicht nur kurzfristigen Frieden, sondern langfristiges Vertrauen und Zusammenarbeit. Genau deshalb liebe ich die Mediation: Sie zeigt uns, dass Recht nicht nur eine Frage von Paragraphen ist, sondern auch von Menschlichkeit, Respekt und der Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Mediation achtet Bedürfnisse – parteiübergreifend. Sie ist damit aktuell wertvoller denn je!
Das Harvard-Konzept als Grundlage der Mediation
Um zu verstehen, was Mediation ist und kann, hier ein paar „Basics“:
Das Harvard-Konzept, entwickelt von den Rechtswissenschaftlern Roger Fisher und William Ury, bildet eine zentrale Grundlage für viele Mediationsverfahren. Es zielt darauf ab, Win-Win-Lösungen zu finden, bei denen alle Beteiligten profitieren. Das Konzept baut auf vier zentralen Prinzipien auf:
1. Trennung von Person und Problem: Konflikte sind oft emotional aufgeladen, weil persönliche Beziehungen mit Sachthemen verknüpft werden. Das Harvard-Konzept fordert, dass diese Verknüpfungen aufgelöst werden, um sachlich und lösungsorientiert verhandeln zu können. Ein Mediator hilft den Beteiligten, persönliche Angriffe zu vermeiden und sich stattdessen auf das eigentliche Problem zu konzentrieren.
Praxisbeispiel: In einem Arbeitskonflikt zwischen einer Abteilungsleiterin und ihrem Team ging es um „unfaire“ Arbeitsverteilung. Die persönliche Abneigung der Mitarbeitenden gegen die Abteilungsleiterin verhinderte eine sachliche Diskussion. Durch die Trennung von Person und Problem kann ein Mediator die Diskussion auf die Arbeitsprozesse lenken, wodurch eine „faire“ Neuzuordnung der Aufgaben gefunden werden kann, ohne die persönliche Beziehung weiter zu belasten.
2. Konzentration auf Interessen statt auf Positionen: Oftmals werden Konflikte durch starre Positionen verschärft. Das Harvard-Konzept legt den Fokus auf die zugrunde liegenden Interessen, die hinter den Positionen stehen. Indem diese Interessen offengelegt und verhandelt werden, können Lösungen gefunden werden, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen.
Praxisbeispiel: Mediation funktioniert auch „im Kleinen“: Zwei Mitarbeitende streiten sich um die Nutzung eines Besprechungsraums zur gleichen Zeit. Ihre Positionen scheinen unvereinbar. Wenn eine vermittelnde Person – und das kann in so einem Fall neben einem professionellen Mediator natürlich auch ein unabhängiges Teammitglied sein – die Interessen der Parteien aufdeckt – der eine benötigte den Raum wegen der Ruhe, der andere wegen der technischen Ausstattung – ist eine Lösung rasch gefunden: Ein anderer, ruhigerer Raum wird für den einen Mitarbeiter eingerichtet, während der Besprechungsraum für die technischen Anforderungen genutzt wird.
3. Entwicklung von Optionen: Das Harvard-Konzept ermutigt zur Entwicklung mehrerer Lösungsoptionen, anstatt sich auf die erstbeste Lösung zu stürzen. Dieser kreative Prozess erweitert den Handlungsspielraum der Beteiligten und ermöglicht es, innovative Lösungen zu finden, die alle Interessen berücksichtigen.
Praxisbeispiel: In einer Nachbarschaftsstreitigkeit um die Höhe einer Hecke zwischen zwei Grundstücken zeigte die Mediation, wie wertvoll es sein kann, verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Anstatt die Hecke einfach zu kürzen oder komplett zu entfernen, was den Konflikt möglicherweise nur verlagert hätte, kann ein Mediator zu vielfältigen neuen Optionen anregen: Einigung auf eine bestimmte Höhe, Anpflanzung von niedrigeren Sträuchern auf einem Teil der Grenze, oder die Installation eines Sichtschutzes anstelle der Hecke.
4. Objektive Kriterien: Zur Beurteilung der gefundenen Lösungen sollten objektive Kriterien herangezogen werden, die für alle Parteien akzeptabel sind. Dies kann beispielsweise ein Verweis auf Branchenstandards oder rechtliche Rahmenbedingungen sein.
Praxisbeispiel: In einem Fall, bei dem zwei langjährige Geschäftspartner in einen Streit über die Verteilung von Gewinnen geraten, droht die Zusammenarbeit zu zerbrechen. Durch die Mediation können die Partner ihre grundlegenden Interessen und Bedürfnisse herausarbeiten und eine Vereinbarung treffen, die nicht nur den aktuellen Streit löste, sondern auch eine neue Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit schuf. Dazu gehört die Einführung klarer Regeln für die Gewinnverteilung und regelmäßige Treffen zur Überprüfung und Anpassung dieser Regeln. Dadurch kann die geschäftliche Beziehung nicht nur gerettet, sondern sogar gestärkt werden.
Eignung der Mediation
Mediation ist nicht in jedem Konfliktfall die geeignete Methode. Die Entscheidung für oder gegen ein Mediationsverfahren hängt von verschiedenen Faktoren ab. Mediation ist besonders dann geeignet, wenn die Parteien weiterhin in einer Beziehung zueinander stehen wollen oder müssen, wie es oft im Arbeitsrecht der Fall ist.
- Geeignetheit der Mediation: Mediation eignet sich besonders in Fällen, in denen es um den Erhalt von Beziehungen geht, wie bei Arbeitskonflikten, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Familienstreitigkeiten. Wenn jedoch ein Konflikt so eskaliert ist, dass keine Verhandlungsbereitschaft mehr besteht oder ein erheblicher Machtunterschied zwischen den Parteien existiert, ist Mediation möglicherweise nicht die richtige Wahl.
- Vorbereitung und Einbezug der Beteiligten: Eine erfolgreiche Mediation setzt die Bereitschaft aller Beteiligten voraus, sich auf das Verfahren einzulassen. Der Mediator muss im Vorfeld sicherstellen, dass alle relevanten Personen in den Prozess einbezogen werden und ihre Zustimmung zur Mediation geben.
- Vertraulichkeit und Neutralität: Einer der größten Vorteile der Mediation ist die Vertraulichkeit. Anders als in einem Gerichtsverfahren bleiben die besprochenen Inhalte unter den Beteiligten. Dies fördert ein offenes Gesprächsklima, in dem auch sensible Themen angesprochen werden können.
- Langfristige Wirkung: Die Mediation zielt darauf ab, Lösungen zu finden, die von allen Beteiligten akzeptiert und umgesetzt werden. Dies führt in der Regel zu einer hohen Zufriedenheit mit dem Ergebnis und einer nachhaltigen Konfliktlösung, die das Risiko weiterer Auseinandersetzungen minimiert.
Mediation ist somit eine wertvolle Methode zur Konfliktlösung, die besonders in komplexen und emotional aufgeladenen Situationen ihre Stärken ausspielt. Sie ermöglicht es den Parteien, eigenverantwortlich und kooperativ Lösungen zu erarbeiten, die nachhaltig und zukunftsorientiert sind.
Die Rolle des Rechtsanwalts in der Mediation
In der Mediation spielt der Rechtsanwalt eine entscheidende Rolle, die jedoch strikt von seiner klassischen Funktion als Parteivertreter zu trennen ist. Diese Rollentrennung ist unerlässlich, um die Integrität des Mediationsprozesses zu wahren und die Neutralität zu gewährleisten, die für eine erfolgreiche Mediation erforderlich ist.
Rollentrennung: Der Anwalt als Mediator
Wenn ein Rechtsanwalt als Mediator tätig wird, muss er seine traditionelle Rolle als Parteivertreter vollständig ablegen. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben und in § 43a Abs. 4 BRAO verankert. Der Rechtsanwalt darf in der gleichen Angelegenheit, in der er als Mediator tätig ist, keine anwaltliche Beratung oder Vertretung übernehmen. Diese strikte Trennung dient dazu, Interessenkonflikte zu vermeiden und sicherzustellen, dass der Mediator als neutraler Dritter agiert, der den Parteien dabei hilft, eine einvernehmliche Lösung zu finden, ohne dabei eine Partei zu bevorzugen.
Der Mediator übernimmt die Verantwortung für den Prozess, nicht jedoch für den Inhalt der Lösung. Seine Aufgabe ist es, die Parteien dabei zu unterstützen, ihre eigenen Lösungen zu entwickeln, indem er ihre Interessen klärt und strukturiert. Dabei muss er darauf achten, dass keine Partei übervorteilt wird und alle möglichen rechtlichen Konsequenzen transparent gemacht werden.
Der Rechtsanwalt als Parteivertreter
Wenn ein Rechtsanwalt seine Mandanten in einer Mediation begleitet, bleibt er in seiner klassischen Rolle als Parteivertreter. Hierbei ist es seine Aufgabe, die rechtlichen Interessen seines Mandanten zu wahren, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären und sicherzustellen, dass sein Mandant nicht übervorteilt wird. Dies kann insbesondere bei komplexen rechtlichen Fragestellungen von Bedeutung sein, wo der Anwalt seine Expertise einbringen muss, ohne jedoch den Prozess der Mediation zu dominieren.
Der Anwalt muss jedoch darauf achten, dass die Eigenverantwortung des Mandanten im Mediationsprozess gewahrt bleibt. Er unterstützt seinen Mandanten dabei, die rechtlichen Aspekte in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen, ohne die Kontrolle über den Prozess zu übernehmen. Diese beratende Rolle erfordert eine hohe Sensibilität und das Verständnis, dass die Mediation von der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und nicht von konfrontativer Rechtsdurchsetzung lebt.
Die strikte Trennung der Rollen von Anwalt und Mediator ist somit essenziell, um den Erfolg der Mediation zu gewährleisten und das Vertrauen der Parteien in den Prozess zu stärken. Nur durch diese Trennung können Mediatoren ihre Aufgabe neutral und unparteiisch wahrnehmen und gleichzeitig die rechtlichen Rahmenbedingungen gewahrt bleiben.
Mediation in der Praxis – schon gehört?
- Die Mediation im Streit um den Stuttgarter Hauptbahnhof („Stuttgart 21“)
Eines der bekanntesten Beispiele für eine erfolgreiche Mediation in Deutschland ist die Vermittlung im Konflikt um das umstrittene Bauprojekt „Stuttgart 21“. Das Projekt, das den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof vorsah, führte zu massiven Protesten der Bevölkerung. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern waren stark verhärtet. Der Konflikt konnte durch eine Mediation unter der Leitung des erfahrenen Schlichters Heiner Geißler entschärft werden. Geißler führte die Parteien in mehreren Runden zu konstruktiven Gesprächen und erarbeitete mit ihnen Kompromisse, die schließlich zur Fortführung des Projekts unter bestimmten Auflagen führten. Der Mediationsprozess trug wesentlich dazu bei, die öffentliche Akzeptanz des Projekts zu erhöhen und den sozialen Frieden zu wahren.
Weitere Infos: https://www.konflikteloesen.de/blog/stuttgart-21-schlichtung-oder-mediation
- Mediation im Tarifkonflikt bei der Lufthansa
Die Lufthansa stand in den 2010er Jahren mehrfach im Zentrum heftiger Tarifkonflikte, insbesondere mit der Pilotengewerkschaft „Vereinigung Cockpit“ (VC). Die Konflikte drehten sich um Themen wie Gehaltsforderungen, die betriebliche Altersvorsorge und Übergangsregelungen für frühzeitige Pensionierungen. Die Auseinandersetzungen führten wiederholt zu Streiks, die den Flugbetrieb stark beeinträchtigten und sowohl für das Unternehmen als auch für die Passagiere große Belastungen darstellten.
Um eine Eskalation zu verhindern und einen langfristigen Tarifvertrag auszuhandeln, wurde schließlich 2020 ein Mediationsverfahren eingeleitet. Beide Seiten stimmten zu, einen neutralen Mediator einzuschalten, der die Verhandlungen moderieren sollte. Der frühere SPD-Politiker und Arbeitsrechtler Matthias Platzeck übernahm diese Rolle und führte die Verhandlungen.
Die Mediation ermöglichte es den Konfliktparteien, ihre Standpunkte auf eine konstruktive Weise darzulegen und Kompromisse zu erarbeiten. Schließlich führte der Mediationsprozess zu einer Einigung, die sowohl die Interessen der Piloten als auch die wirtschaftlichen Belange der Lufthansa berücksichtigte.
Weitere Infos: https://newsroom.lufthansagroup.com/lufthansa-bereit-zu-mediation/
- Internationale Mediation: Camp-David-Abkommen
Auf internationaler Ebene ist das Camp-David-Abkommen von 1978 ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Mediation. Unter der Vermittlung des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter gelang es, einen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten zu verhandeln. Trotz der tiefen Feindschaft zwischen beiden Ländern führten intensive Verhandlungen, bei denen Carter als neutraler Dritter fungierte, zu einem Abkommen, das den Sinai an Ägypten zurückgab und den Friedensprozess im Nahen Osten vorantrieb. Dieses Beispiel zeigt, wie Mediation selbst in geopolitisch extrem komplexen und konfliktbeladenen Situationen erfolgreich sein kann.
Weitere Infos: http://horvath.members.1012.at/carter.htm
Redet miteinander!
Nicht zuletzt diese Beispiele verdeutlichen, wie vielseitig und wirksam Mediation in unterschiedlichsten Kontexten sein kann – und das längst nicht nur auf der „großen Bühne“.
Mediation bietet die Möglichkeit, Konflikte auf eine kooperative und nachhaltige Weise zu lösen, die oft sowohl zeitlich als auch finanziell effizienter ist als traditionelle rechtliche Verfahren. Durch die Einbeziehung aller relevanten Interessen und die Unterstützung durch einen neutralen Dritten schafft Mediation Lösungen, die von allen Beteiligten getragen werden und somit dauerhaft Bestand haben.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlergebnisse und scheinbar unvereinbarer Gegensätze in der Gesellschaft muss der Wert von Mediationsverfahren bzw. den Methoden der Mediation wachsen.
Es geht nicht ohne Kommunikation, ohne den Schritt aufeinander zu, ohne Einigung und Verstehen.
Nur dagegen zu sein ist nie eine Lösung!