Liebe Alexandra, liebe Birgit,
ein Leitfaden für die rechtliche Umsetzung von agilem Arbeiten im Unternehmen – für New Work. Das ist ein großartiges Ziel, aber auch ein großes. Wir haben gemeinsam in den letzten Wochen daran geschrieben und im Januar soll der Leitfaden nun von der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht werden. Ich freue mich, mich mit Euch über ein paar Gedanken austauschen zu können, einige Fragen zum Hintergrund und zur Entstehung zu stellen und vor allem mit Euch in die Zukunft zu blicken: Was passiert mit uns und unserer Arbeitswelt?
#Agilität
Was bedeutet für Euch Agilität?
Birgit (B): In der täglichen Arbeit geht es ja darum, auf ein bestimmtes Ziel hin zu arbeiten – ein Produkt oder eine Dienstleistung. Während der Arbeit merkt man oft erst – gerade auch im Austausch mit den Kunden oder anderen Kollegen, was es wirklich braucht, um zu funktionieren. Dann muss es möglich sein, schnell umzusteuern und Veränderungen vorzunehmen. Bei dem klassischen “Wasserfall” würde man durchziehen nach Plan – egal was kommt. Aber agil bedeutet, individuell und situativ reagieren zu können.
Alexandra (A): Dass man keine streng durchgeplanten Projekte mehr beantragt, sondern der Idee Luft und Raum gibt, sich zu entwickeln. Das bedeutet, steuern auf Sicht und kein sklavisches Abarbeiten von (manchmal überholten) Produktkatalogen.
#Change
Welche Veränderung in der Gesellschaft hat Eurer Meinung nach den größten Effekt auf die Arbeitswelt?
A: Mobile Devices und das Internet. Sie erlauben uns eine Entkopplung der Arbeit von starren Arbeitsorten und Arbeitszeiten. Das führt zu einem völlig neuen Verständnis von Arbeit. Der Arbeitsort ist nicht länger ein festgelegtes Gebäude mit Tischen, Stühlen und Arbeitsmitteln, sondern ist in vielen Fällen an die Person gekoppelt. Dort wo der arbeitende Mensch ist, ist auch der Arbeitsort. Das kann das Büro sein. Es kann aber auch der Zug, die Hotellobby oder der Park sein. Diese Möglichkeiten haben Auswirkungen auf viele Facetten der Arbeitswelt. Diese müssen wir an einigen Stellen hinterfragen und völlig neu erfinden.
#NewWork
Wenn wir mit einem Buzzword über „New Work“ sprechen heißt es immer, dass es weder pauschale Konzepte noch Blaupausen geben kann – warum jetzt ein Leitfaden?
A: Weil in vielen Organisationen und Betrieben die Zukunft der Arbeit bereits schon “unorganisiert” Einzug hält. Nahezu überall wird experimentiert und es werden neue Formen des Arbeitens ausprobiert. Das führt immer wieder zu Verunsicherungen bei allen Akteuren darüber, ob man sich noch im legalen Bereich bewegt. Das war für uns der Anlass, einen ersten Überblick darüber geben zu wollen, was bereits geht oder wo es einen unkomplizierten “Work around” gibt.
B: Wir zielen vor allem auf diejenigen Arbeitgeber ab, die selbst keine Personalabteilung und/oder Rechtsabteilung haben. Es ist schwierig für sie, genau abzuschätzen, was sie machen können. Die besten Beispiele dafür ist zum einen die Einführung von mobilem Arbeiten bzw. Homeoffice. Den meisten ist der Unterschied davon gar nicht klar und welche rechtlichen doch starken Unterschiede das mit sich bringt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wie muss ich mit den Arbeitsverträgen umgehen, wenn ich mich in eine agile Arbeitsorganisation verändern will. Da ist schon einiges zu beachten – und da möchten wir ganz praktische Unterstützung leisten.
#Kernaussagen
Was sind die 3 Kernaussagen der Veröffentlichung an die Unternehmenswelt? Und kann es überhaupt 3 Kernaussagen an all die bunten Arbeitswelten auf einmal geben?
B: Für mich wäre die erste Kernaussage: Alles ist irgendwie machbar. Man muss kreativ sein. Aber sehr vieles geht. Was mich zur zweiten Kernaussage bringt: Das Gesetz schränkt doch noch einiges ein. Es könnte deutlich leichter sein – da muss der Gesetzgeber ganz deutlich Hand anlegen. Deswegen haben wir auch eine Expertenrunde zum Arbeitsrecht zusammengestellt, bei der du ja auch dabei bist.
Meine dritte Aussage wäre: Die Mitarbeitenden müssen – will man erfolgreich sein – nicht nur nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligt werden, wenn die meisten Entscheidungen gefällt sind. Ein wesentlicher Bestandteil von New Work ist nach meinem Verständnis die Partizipation. Ohnehin stellt sich immer mehr heraus, dass die gesetzlich geregelte Mitbestimmung eigentlich zu langsam ist. Weswegen auch schon viele Betriebsräte selbst agil arbeiten. Ob nun gewählter Betriebsrat oder nicht: In jedem Fall sollte die Umorganisation und Veränderung immer gemeinsam und Hand in Hand mit den Mitarbeitenden geschehen.
Aber du hast Recht mit deiner Frage nach der Begrenzung von Kernaussagen, natürlich könnte ich die Aufzählung über wichtige Erkenntnisse beliebig fortsetzen….
#Zielgruppe
Wer ist Zielgruppe? StartUp, KMU, Verband, Konzern,…? Wer „braucht“ diesen Leitfaden?
A: Ideal ist die Publikation für die Betriebe und Organisationen, die nicht die Ressourcen für eine eigene Rechts- und Personalabteilung haben. Die finden hier einen Überblick und schnell Antworten auf die häufigsten Fragen. Oder zumindest Hinweise auf Themen, die dringend klärungsbedürftig sind.
B: Natürlich ist das sowohl für Arbeitgeber – und Mitarbeiterseite gedacht. Es ist auch mehr als Nachlagewerk gedacht: Also wenn eine Frage auftaucht, kann ich mich in dem Leitfaden mal umsehen. Klar ist aber, dass eine individuelle rechtliche Beurteilung dadurch nicht ersetzt wird. Aber auch für das wirtschaftsnahe Umfeld ist der Leitfaden sicher sinnvoll, wenn es um die Frage geht, wie die Betriebe unterstützt werden können.
#Ergebnisse
Wie gelangen Eure Ergebnisse in die Realität?
B: Wir haben – wie oben bereits erwähnt, eine Expertenrunde ins Leben gerufen, an der du ja auch dankenswerterweise mitarbeitest. Diese befasst sich mit der Frage, welche Gesetze einer Änderung bedürfen. Die erste Sitzung hat bereits stattgefunden und wir arbeiten derzeit an der Veröffentlichung. Danach werden wir uns der Frage zuwenden, wie Lösungsansätze aussehen können. All dies bietet dann eine Diskussionsgrundlage gerade auch in Richtung Politik, von wo aus die Änderungen ja nur angestoßen werden können.
Gleichzeitig bewegen wir uns mit der Frage auch auf die europäische Ebene, denn das Europarecht bildet den Rahmen für unsere deutschen Arbeitsgesetze. Unter anderem wird am 17./18. Juni 2020 zum zweiten Mal eine Konferenz in Brüssel mit unserer Beteiligung zum zweiten Mal dazu durchgeführt.
Natürlich hoffen wir, dass sich die Betriebe nicht durch zurzeit noch restriktivere Gesetze von der Digitalisierung ihrer Arbeit abhalten lassen. Es wäre wichtig, dass gerade sie ihre Probleme und Schwierigkeiten immer wieder formulieren, um auch den entsprechenden Druck aufzubauen. Wir sehen unsere Aufgabe dabei darin, Lösungsvorschläge in verschiedene Richtungen zu erarbeiten.
#Leitfaden
Ein Leitfaden ist nicht agil – er ist „fertig“. Was folgt danach?
A: Wir identifizieren stetig neue Baustellen, die die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen betreffen. Wir werden natürlich weiterhin die Veränderungen “monitoren” und dann weiter bearbeiten.
B: Bereits beim gemeinsamen Schreiben haben wir ja bereits immer diskutiert, dass da noch offene Punkte sind bzw. noch Entscheidungen ausstehen und die Entwicklung noch in vollem Gange ist. Insofern ist der Leitfaden meines Erachtens nie “fertig”. Wir planen, spätestens in 1 ½ Jahren alles nochmal zu überprüfen und zu aktualisieren. Dann sehen wir auch, wie die Praxis mit den bisherigen Diskussionen umgeht.
#Transformation
„Die Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung“ – das ist das Projekt der Bertelsmann Stiftung „hinter“ dieser Publikation“ – wo steht Ihr – wo steht die Arbeitswelt gerade auf der Transformationsreise?
B: Sehr sinnbildlich dafür ist die Fallstudie, die wir gerade mit Fraunhofer IAO und der Unterstützung der Otto Group durchführen: Es geht um die Erfolgskriterien einer gelungenen digitalen Transformation. Wir sehen immer noch viel Unterstützungsbedarf darin, wie überhaupt die Transformation in Betrieben in Gang gebracht werden kann. Es ist eine lange Reise und es muss auch noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wir haben uns dabei dann aber auch mit Plattformarbeit beschäftigt, denn ein großes Thema sind im Rahmen von mobiler Arbeit auch Neue Orte des Arbeitens. Des Weiteren haben wir erste Ansätze zur Corporate Digital Responsibility gemacht – und auch unser bisher durch das Qualitätssiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber repräsentierte Thema der Vereinbarkeit wieder aufgenommen. Wobei letzteres eine deutliche Ausweitung über die Vereinbarkeit im klassischen Sinne hinaus erfahren hat und in einem Booksprint seinen Niederschlag gefunden hat. Jetzt sind wir dabei, diese Erkenntnisse in eine neue Projektphase zu überführen.
#undIhrso?
Eine persönliche Frage zum Schluss: Hat sich Euer Arbeiten in den letzten 5 Jahren verändert und wenn ja wie? Und gibt es auch mal Momente, in denen Ihr so gar nicht agil seid?
A: Wir haben vor rund 3 Jahren damit begonnen einige Projektsegmente agil zu entwickeln und auch durchzuführen. Das hatte starke Auswirkungen auf unsere teaminterne Arbeitskultur. Wir sind nicht nur wesentlich schneller geworden sondern aus meiner Sicht, ist es uns auf diese Weise auch gelungen, die Projekte mehr am “Puls der Zeit” auszurichten.
Manchmal fällt es natürlich auch schwer “agil” zu sein. Insbesondere dann, wenn liebgewonnene Ideen über Bord geworfen werden müssen oder wenn es heißt, sich zum Wohle des großen Ganzen aus einer Komfortzone heraus bewegen zu müssen.
B: Wir haben auch neue Formate wie den Booksprint und das Silent Meeting ausprobiert – mit Erfolg, wie wir jetzt feststellen können. Das ist natürlich bei aller Umgewöhnung extrem spannend: Sich und neue Formate und Arbeitsweisen ausprobieren zu können, insoweit auch kreativ sein zu können. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk gefällt mir ausgesprochen gut. Es ist erstaunlich, wie viel Engagement und welch vielschichtige Ergebnisse herauskommen, wenn man die Menschen nur fragt. Mein Fazit wäre, dass wir alle – und vor allem unsere Arbeit – sehr gewonnen haben.
Ich danke Euch herzlich für Eure Zeit und bin gespannt, wie wir uns gemeinsam in Zukunft entwickeln!
Über meine Interviewpartnerinnen:
Dr. Alexandra Schmied ist als Senior Project Managerin in der Bertelsmann Stiftung tätig. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt auf den Themen digitale Transformation der Arbeitswelt, mitarbeiterorientierte Personalpolitik und neue Orte des Arbeitens sowie dem „Audit Zukunftsfähige Unternehmenskultur“.
Birgit Wintermann ist Project Managerin in der Bertelsmann Stiftung Ihr Fokus liegt auf Arbeitsbedingungen in Unternehmen. Derzeit befasst sie sich mit der digitalen Transformation von Betrieben, insbesondere den arbeitsrechtlichen Aspekten von NewWork und Vereinbarkeit 4.0. Sie hat das Qualitätssiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber entwickelt und an dem “Audit Zukunftsfähige Unternehmenskultur” mitgearbeitet.