Europa und das Recht auf Arbeit

Inhalt

Kurz vor der Europawahl lohnt sich ein Blick auf das Arbeitsrecht in der EU – oder vielmehr auf das Recht auf Arbeit.

Artikel 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union besagt: 

  1. Jede Person hat das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben.
  2. Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.
  3. Die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, haben Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen.

Dieses Recht auf Freizügigkeit haben wir bereits seit 1957!

„Arbeitsrecht“ im europäischen Kontext

Das europäische Arbeitsrecht bezieht sich auf die rechtlichen Bestimmungen und Normen, die die Arbeitsverhältnisse in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) regeln. Es umfasst eine Vielzahl von Regelungen, die darauf abzielen, faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu verhindern. Diese Regelungen werden oft durch EU-Richtlinien und -Verordnungen festgelegt, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen.

Frauen und das Recht auf Arbeit

Vielleicht verwunderlich – aber ebenfalls bereits seit 1957 ist der Grundsatz, dass Männer und Frauen gleiches Entgelt für gleiche Arbeit erhalten sollten, in den EU-Verträgen verankert (aktuell Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eines der Ziele der Europäischen Union.

Frauenrechte am Arbeitsplatz sind ein zentraler Bestandteil des europäischen Arbeitsrechts. Die EU hat mehrere Richtlinien erlassen, um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern und Diskriminierung zu bekämpfen. Wichtige Maßnahmen umfassen:

  • Gleichbehandlungsrichtlinie: Diese Richtlinie verpflichtet Arbeitgeber, Frauen und Männer gleich zu behandeln, insbesondere bei Einstellung, Beförderung und Arbeitsbedingungen.
  • Mutterschutzrichtlinie: Schutzmaßnahmen für schwangere Frauen und junge Mütter, einschließlich Mutterschutzurlaub und Arbeitsplatzsicherheit.
  • Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben: Unterstützung für berufstätige Eltern, z.B. durch Elternurlaub und flexible Arbeitszeiten.

Trotz dieser Maßnahmen gibt es weiterhin Herausforderungen wie Lohnungleichheit und Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen.

Eine spannende Übersicht darüber, was zwischen 1957 und heute in Sachen Gleichstellung im Bereich Arbeit passiert ist, findet man unter https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/59/gleichstellung-von-mannern-und-frauen

Rolle der EU im Bereich des Arbeitsrechts

Die Europäische Union spielt eine entscheidende Rolle bei der Festlegung von Mindeststandards im Arbeitsrecht. Durch die Harmonisierung der Arbeitsrechtsvorschriften versucht die EU, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und die Arbeitnehmerrechte in allen Mitgliedstaaten zu schützen. Einige der wichtigsten EU-Institutionen und -Instrumente im Bereich des Arbeitsrechts sind:

  • Europäische Kommission: Initiiert Gesetzgebungsprozesse und überwacht die Umsetzung der EU-Richtlinien.
  • Europäischer Gerichtshof (EuGH): Interpretiert EU-Recht und sorgt für dessen einheitliche Anwendung.
  • Sozialpartner: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die in den Gesetzgebungsprozess eingebunden sind.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Arbeitsrechtssystemen der EU-Mitgliedstaaten

Obwohl die EU eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen erlässt, gibt es immer noch erhebliche Unterschiede in den nationalen Arbeitsrechtssystemen.

Arbeitszeitregelungen

Unterschiede in der maximalen Wochenarbeitszeit, Überstundenregelungen und Feiertagsregelungen.

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie schreibt eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden vor. Das bedeutet, die durchschnittliche Arbeitszeit für einen Siebentageszeitraum darf 48 Stunden nicht überschreiten. Der Durchschnitt wir je nach nationalem Recht über einen Zeitraum von bis zu vier, sechs oder zwölf Monaten berechnet.

Quelle: https://www.iwd.de/artikel/arbeitest-du-noch-oder-feierst-du-schon-534381/

 

Kündigungsschutz

Variationen im Kündigungsschutz, z.B. hinsichtlich der Kündigungsfristen und Abfindungen.

In der europäischen Säule sozialer Rechte (https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1606&langId=de) sind „sichere und anpassungsfähige Beschäftigung“ und „Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz“ als wesentliche Grundsätze für faire Arbeitsbedingungen festgeschrieben. Gemäß der Säule haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zu Beginn ihrer Beschäftigung schriftlich über ihre aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierenden Rechte und Pflichten informiert zu werden, auch in der Probezeit.

Übrigens sind hier auch die Vereinbarkeitsgrundsätze der EU verankert, also Maßnahmen zur Work-Life-Balance.

Sozialleistungen

Unterschiede in der Arbeitslosenversicherung, Renten- und Krankenversicherungssystemen. Freizügigkeit… – unter bestimmten Voraussetzungen! Das Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat der EU als dem jeweiligen Heimatland ist nämlich grundsätzlich an zwei Bedingungen geknüpft:

  • ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie
  • aufrecht erhaltende Krankenversicherung.

Damit soll „Sozialtourismus“, also der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU zum alleinigen Zweck des Bezugs von Sozialleistungen unterbunden werden.

„Problemkind“ Rente: In Europa existiert kein einheitliches Altersversorgungssystem. Dennoch lassen sich zwei grundlegende Typen unterscheiden: In Mittel- und Osteuropa dominiert das sogenannte „Bismarck-Rentensystem“, welches auf dem Versicherungsprinzip basiert und durch Beiträge finanziert wird. Dieses System wird auch als Umlagesystem bezeichnet, da die aktuellen Beiträge der Erwerbstätigen zur Finanzierung der laufenden Rentenzahlungen verwendet werden. Der andere Grundtyp ist das „Beveridge-System“, das eine steuerfinanzierte Grundsicherung bietet. Diese Basisrente wird in der Regel durch eine verpflichtende Betriebsrente ergänzt und ist vor allem in Nordeuropa, Großbritannien und Irland verbreitet. Beide Systeme unterstützen zudem staatlich geförderte private Altersvorsorge. Darüber hinaus existieren auch Mischsysteme, die Elemente beider Typen kombinieren.

Quelle: https://www.union-investment.de/blog/altersvorsorge-in-europa

Gemeinsamkeiten im Arbeitsrecht sind insgesamt durch die Umsetzung von EU-Richtlinien erkennbar, die Mindeststandards in Bereichen wie Arbeitsschutz, Gleichbehandlung und Arbeitnehmerbeteiligung festlegen. Die Komplexität der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU und erst recht innerhalb Europas macht den Harmonisierungsprozess aber nicht gerade zur Rennstrecke…

Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Remote Work

Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt haben zu einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten und der Verbreitung von Remote Work geführt. Auch hier ist die EU aktiv: Die Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen stellt sicher, dass Arbeitnehmende über ihre Arbeitsbedingungen informiert werden und Schutz vor unvorhergesehenen Arbeitszeiten haben. Die bereits erwähnten Initiativen zur Förderung von Work-Life-Balance unterstützen flexible Arbeitszeitmodelle und Telearbeit.

Quelle: Anteil der Erwerbstätigen mit flexiblen Arbeitszeiten in Deutschland und ausgewählten EU-Staaten 2019, Statista 2024

Workation in der EU

„Workation“ ist ein Konzept, das Arbeit und Urlaub kombiniert, und das in der EU zunehmend an Beliebtheit gewinnt – die Freizügigkeit geht mit einer Visumsfreiheit und einer (meist) unbegrenzten Arbeitserlaubnis einher. Aber so frei dann bitte doch nicht! Steuerliche und (versicherungs-)rechtliche Fragen müssen bei einer Workation in einem anderen EU-Land unbedingt berücksichtigt werden. Ich empfehle für Workation-Konzepte zwingend eine rechtliche Vereinbarung – entweder als arbeitsvertragliche Regelung oder als Betriebs- oder Dienstvereinbarung. Wichtig auch, einen klaren Rahmen für Workation im Vorfeld zu definieren. Es müssen Fragen geklärt werden wie:

  • Welche Dauer dürfen Workation-Aufenthalte haben?
  • Sind bestimmte Personengruppen oder Tätigkeiten von vornherein ausgeschlossen?
  • Welche Länder sind für Workation-Aufenthalte vorgesehen?
  • Was tun, wenn unvorhergesehene Störungen auftauchen?

Und einer aktuellen Umfrage zufolge ist das Workation Konzept noch kein „Normalzustand“:

Quelle: https://digitalzentrum-berlin.de/workation-leitfaden-rechtliches-und-praktische-tipps-zur-umsetzung

Mehr dazu findet ihr in meinem Artikel „Mobiles Arbeiten war gestern – Workation ist heute“.

Fazit

Das Recht auf Arbeit in Europa ist ein Zusammenspiel historischer, gewachsener Entwicklungen und aktueller Herausforderungen – sei es die Dynamik der EU, „Schocks“ wie Corona oder Ukrainekrieg oder die Veränderung von individuellen Lebenskonzepten. Die Europäische Union spielt eine zentrale Rolle bei der Festlegung von Mindeststandards und dem Schutz der Arbeitnehmerrechte, während die nationalen Unterschiede weiterhin bestehen. Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten und neue Arbeitsmodelle wie Remote Work und Workation zeigen, wie sich das Arbeitsrecht kontinuierlich an die sich ändernden Bedürfnisse der Gesellschaft anpasst. Es ist also auch auf europäischer Ebene eine prima Leitplanke und steht für Sicherheit auf der einen und Flexibilität auf der anderen Seite.

Wie gut, dass wir das Recht auf Arbeit haben und ein Recht darauf, unsere Stimme für Europa abzugeben!

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