Arbeitszeit – flexibel, aber bitte geregelt

Inhalt

Arbeitszeit ist paradox. Auf der einen Seite sehnen wir uns nach der Freiheit, unsere Arbeit so zu gestalten, dass sie zu unserem Leben passt. Auf der anderen Seite kann zu viel Flexibilität uns überfordern und zu einer ständigen Verfügbarkeit führen, die uns und unsere Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht bringt. Die zuletzt geführte Diskussion im Bundestag – eine Anhörung von Sachverständigen zum Thema Arbeitszeiterfassung – hat mich hier noch einmal zum Nachdenken gebracht, zum „Sortieren“ der Ansätze angeregt … und tatsächlich auch ein wenig amüsiert.

Hintergrund

In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag wurde über die gesetzliche Umsetzung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Erfassung der Arbeitszeiten von Beschäftigten diskutiert. Die Meinungen der Sachverständigen waren vielfältig und reichten von einer möglichst detaillierten bis hin zu einer möglichst flexiblen gesetzlichen Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes.

Während Vertreter der Arbeitgeberverbände die Notwendigkeit von Flexibilität betonten und sich für den Erhalt der Vertrauensarbeitszeit aussprachen, plädierten Gewerkschaften und einige Experten für eine taggenaue Aufzeichnung von Arbeitszeiten und Ruhepausen. Insgesamt herrschte ziemliche Uneinigkeit darüber, welche Regelungen angemessen sind. Einige befürworteten tarifliche Öffnungsklauseln, während andere eine klare gesetzliche Vorgabe forderten. Zwischen „mehr Freiheit wagen“ und dem Wunsch nach „festen Plänen, einer Struktur und Verlässlichkeit, damit wir unser Privatleben mit der Arbeit verbinden können“ liegen also die berühmten Welten

Die Debatte verdeutlicht die Herausforderungen bei der Ausgestaltung einer zeitgemäßen Arbeitszeitregelung – und das, obwohl (oder vielleicht auch weil) hier Sachverständige und Expert:innen unter sich waren.

Wünsche, Modelle, Bedürfnisse

Arbeitszeit ist längst mehr geworden als ein in Minuten, Stunden und Tagen messbares Thema. Verschiedene Modelle, Wünsche und Bedürfnisse treffen aufeinander und prägen die Diskussion um die Gestaltung von Arbeitszeit. Vielleicht lassen sich diese 4 „Eckpfeiler“ konkretisieren, um ein gemeinsames Verständnis einer „guten“ Arbeitszeit zu entwickeln.

  1. Traditionelle Modelle vs. flexible Arbeitszeiten: Traditionelle Arbeitszeitmodelle, wie der klassische Acht-Stunden-Tag, stoßen zunehmend auf Kritik. Arbeitnehmende wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten, die es ihnen ermöglichen, ihre Arbeit besser mit ihrem Privatleben zu vereinbaren. Homeoffice, Teilzeit- und Gleitzeitmodelle sind fast schon ein „Muss“.
  2. Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung: Immer mehr Menschen – und das ist kein Gen-Z-Phänomen! – streben nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung in Bezug auf ihre Arbeitszeit. Die Möglichkeit, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten und eigenverantwortlich zu entscheiden, wann und wo gearbeitet wird, wird als wichtiger Faktor für Zufriedenheit und Produktivität angesehen.
  3. Gesundheit und Work-Life-Balance: Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie der Schutz der Gesundheit stehen im Mittelpunkt vieler Diskussionen über Arbeitszeit. Lange Arbeitszeiten, übermäßige Überstunden, ständige (digitale) Erreichbarkeit und fehlende Abgrenzung können zu Stress, Erschöpfung und gesundheitlichen Problemen führen. Daher wird zunehmend Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance und den Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz gelegt.
  4. Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen: Das Arbeitsrecht legt bestimmte Rahmenbedingungen für die Gestaltung von Arbeitszeit fest, wie Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen und Regelungen zur Arbeitszeiterfassung. Diese Rahmenbedingungen müssen sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmer nach Schutz und Fairness als auch den Interessen der Arbeitgeber nach Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit gerecht werden.

Arbeitsrecht kann beides – flexibel & sicher!

Das Arbeitsrecht greife ich nochmal im Detail auf, denn es spielt eine entscheidende (und sehr positive) Rolle bei der Gestaltung von Arbeitszeitkonzepten, da es die Rahmenbedingungen für die Arbeitszeitgestaltung festlegt und die Rechte und Pflichten von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden regelt. Ich kann es nur immer wieder betonen: Arbeitsrecht kann sowohl Flexibilität als auch Sicherheit und wird damit unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht!

  • Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten: Das Arbeitsrecht legt Höchstarbeitszeiten fest, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmenden zu schützen. Gleichzeitig können flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt werden, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, ihre Arbeitszeit innerhalb dieser Grenzen flexibel zu gestalten. Ruhezeiten zwischen den Arbeitseinsätzen sind ebenfalls gesetzlich vorgeschrieben, um ausreichende Erholung sicherzustellen.
  • Arbeitszeitflexibilität: Das Arbeitsrecht kann flexible Arbeitszeitmodelle wie Teilzeit-, Gleitzeit- oder Vertrauensarbeitszeitregelungen ermöglichen. Diese Modelle bieten den Mitarbeitenden mehr Autonomie und Selbstbestimmung über ihre Arbeitszeit, während gleichzeitig sicherheitsrelevante Grenzen eingehalten werden.
  • Arbeitszeiterfassung: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kann dazu beitragen, die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorgaben zu überwachen und sicherzustellen. Moderne Arbeitszeiterfassungssysteme können dabei helfen, die Arbeitszeit genau zu dokumentieren, ohne die Flexibilität der Arbeitszeitgestaltung einzuschränken.
  • Betriebsvereinbarungen können zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung enthalten, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinausgehen, sie konkretisieren und operationalisieren. Diese Regelungen können auf die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen des jeweiligen Unternehmens und seiner Mitarbeitenden zugeschnitten sein.
  • Arbeitsschutzbestimmungen und Fürsorgepflicht: Das Arbeitsrecht enthält Bestimmungen zum Arbeitsschutz, die die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz gewährleisten sollen. Es ist ein Fürsorgerecht – kein „Beschränkungsrecht“.

Mein Lieblingsbild: das Arbeitsrecht ist die Leitplanke. Definitorisch also eine passive Schutzeinrichtung – daraus eine „aktive“ Schutzeinrichtung zu machen, also innerhalb der Leitplanken so zu agieren, so dass wir Zeit-Bedürfnisse erfüllen: Das ist Aufgabe von HR!

„How to“ flexibles Arbeitszeitkonzept

Auch wenn`s sicher keine flexible One-Size-Fits-All-Lösung geben kann – es gibt Schritte, die es sich lohnt, einmal gemeinsam durchzustrukturieren. Als Sparringpartnerin stehe ich Unternehmen, Betriebsräten und HR-Abteilungen hier immer wieder sehr gerne zur Verfügung. Zeit, die man in Arbeitszeitorganisation steckt, ist nämlich unglaublich gut investiert!

  • Step 1: Beginnt mit einer gründlichen Analyse der Unternehmenskultur, -ziele und der aktuellen Arbeitszeitmodelle, um die Bedürfnisse und Anforderungen zu verstehen.
  • Step 2: Beteiligt eure Mitarbeitenden aktiv an der Entwicklung des Arbeitszeitkonzepts und fördert einen offenen Dialog und Austausch.
  • Step 3: Bietet soweit möglich den vollen Blumenstrauß, also eine Vielfalt von Arbeitszeitmodellen an, die den individuellen Bedürfnissen und Lebensumständen der Mitarbeitenden als auch den unternehmerischen Notwendigkeiten gerecht werden.
  • Step 4: Definiert Regeln und Richtlinien zur Arbeitszeitgestaltung, die die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen einhalten und die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten.
  • Step 5: Kommuniziert transparent über das Arbeitszeitkonzept. Sind alle Mitarbeitenden über die geltenden Regelungen informiert?
  • Step 6: Arbeitszeit kann Vielfalt und Diversität unglaublich gut abbilden, auch wenn es herausfordernd ist, aber besser kann man Mitarbeitende kaum binden und wertschätzen!
  • Step 7:  Denkt daran Arbeitszeitkonzepte kontinuierlich zu verbessern. Dazu sind Feedback und Erfahrung Gold wert. Teilt eure Erfahrungen z.B. via LinkedIn oder euren Blog/Newsbereich. So kommen neue Perspektiven dazu.

Fazit

Die Flexibilitätsambiguität der Arbeitszeit bleibt eine „Dauerbrennerthema“. Zeit ist unser wertvollstes Gut, wir möchten sie ungern verschwenden, teilen sie nicht gern und haben nie genug davon. Auf der anderen Seite wissen wir manchmal selbst nichts mit ihr anzufangen und lassen uns daher ganz gerne strukturieren und organisieren, um genau darüber wieder zu lamentieren.

Erschwerend hinzu kommt, dass dies nicht nur eine organisationale Herausforderung ist und damit einer interpersonelle, sondern auch eine intrapersonelle. Wir selbst bewerten Zeit je nach Lebenssituation ganz unterschiedlich. Die Debatte im Bundestag ist also nur Ausdruck der Realität: wir müssen lernen, dass man der Flexibilität vertrauen kann. Der Rest kommt mit der Zeit ;-).

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