Früher war es üblich, dass man im Urlaub wirklich nur im Notfall erreichbar war. Damals musste man aktiv eine Telefonzelle aufsuchen, um Kontakt aufzunehmen. Umgekehrt – also von zuhause aus – war die Option praktisch gar nicht vorhanden. Mit der technologischen Entwicklung hat sich dies grundlegend geändert. Heute sind wir, ob am Strand, im Hotel oder auf einer Berghütte, fast immer erreichbar – oft unabhängig davon, ob wir es wollen oder nicht. Smartphones und mobile Internetverbindungen machen es möglich, dass wir ständig in Verbindung bleiben.
Notfälle im Job
Trotzdem verabschieden wir uns häufig noch mit der analogen Floskel: „Im Notfall bin ich erreichbar.“ Was aber wäre denn ein wirklicher BERUFLICHER Notfall? Ein Notfall kann eine unvorhergesehene Krise oder eine dringende geschäftliche Entscheidung sein, die sofortige Aufmerksamkeit erfordert. Doch haben sich die Definitionen und Wahrnehmungen von Notfällen verändert? Früher war ein Notfall tatsächlich ein seltener und ernsthafter Vorfall. Heute wirkt es fast so, als dass im Büro verbleibende Kolleginnen und Kollegen weniger eigenständig agieren, gedankenlos auch die Urlauber:innen anfunken und den Weg des geringsten Widerstands suchen. „Es ist ja nur ein kurzer Anruf“. „Er/sie muss ja nicht drangehen, wenn´s nicht passt“.
Auf der anderen Seite entsteht aber genau so das Gefühl sich gezwungen zu sehen, ständig erreichbar zu sein. Wer bitte kann den gut mit dem entgangenen Anruf vom Kollegen oder gar vom Chef umgehen?
Noch schlimmer: Es meldet sich niemand – werde ich jetzt nicht mehr gebraucht? Läuft wirklich alles ohne mich??
Recht auf Nichterreichbarkeit
Das Recht auf Nichterreichbarkeit bezieht sich auf das Recht von Arbeitnehmenden, außerhalb ihrer Arbeitszeiten nicht für arbeitsbezogene Kommunikation verfügbar sein zu müssen. Dies soll dazu beitragen, die Work-Life-Balance zu verbessern und Stress sowie Burnout zu vermeiden.
Frankreich hat bereits 2017 das Recht auf Nichterreichbarkeit gesetzlich verankert. Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden müssen Regelungen einführen, die sicherstellen, dass Arbeitnehmer außerhalb der regulären Arbeitszeiten nicht kontaktiert werden müssen.
In Portugal wurde im Jahr 2021 ein neues Arbeitsgesetz verabschiedet, das das Recht auf Nichterreichbarkeit stärkt. Das Gesetz verbietet es Arbeitgebern, ihre Mitarbeitenden außerhalb der regulären Arbeitszeiten zu kontaktieren, es sei denn, es liegt ein Notfall (siehe oben 😉 vor. Diese Regelung soll die Work-Life-Balance verbessern und den Schutz der mentalen Gesundheit der Arbeitnehmer fördern. Portugal zählt somit zu den Ländern, die aktiv Maßnahmen gegen die Dauererreichbarkeit ergreifen.
In Deutschland gibt es ebenfalls Initiativen und Regelungen, um die Erreichbarkeit zu regulieren. Einige Unternehmen haben bereits interne Richtlinien eingeführt, die festlegen, dass E-Mails außerhalb der Arbeitszeit nicht beantwortet werden müssen. Zudem haben verschiedene Bundesländer spezifische Regelungen verabschiedet, um die Erreichbarkeit zu regeln.
„Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in der Freizeit erreichbar sein will oder nicht“: So steht es in einer Urteilsbegründung, die das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein veröffentlicht hat.
Fürsorgepflicht der Arbeitgeber
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Allein aus dieser Verantwortung heraus müssen sie Maßnahmen ergreifen, um die ständige Erreichbarkeit zu regulieren und die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden zu schützen. Dies kann durch klare Richtlinien zur Erreichbarkeit im Urlaub, die Förderung einer Kultur des Vertrauens und der Selbstständigkeit sowie durch das Anbieten von Schulungen zur Stressbewältigung geschehen. Kommunikation ist hier wie so oft das A und O. Ein Patentrezept fürs Erreichbarkeitsmanagement gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss dafür einen individuellen Weg finden. Seitens des ifaa gibt es hierzu eine Checkliste, die sich sehr gut als Grundlage für unternehmensindividuelle Betriebsvereinbarungen verwenden lässt.
Selbstfürsorge
Es sind aber nicht immer nur die Anderen Schuld! Selbstfürsorge ist hier das Stichwort. Jede und jeder von uns kann und sollte proaktiv Maßnahmen ergreifen, um sein/ihre Erreichbarkeit zu managen. Dies kann die bewusste Entscheidung sein, das Smartphone während des Urlaubs abzuschalten, bestimmte Zeiten für das Überprüfen von Nachrichten festzulegen oder den Kolleginnen und Kollegen klare Kommunikationsgrenzen zu setzen. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse und Grenzen, daher ist es wichtig, individuell passende Strategien zu entwickeln und diese konsequent umzusetzen. Den einen stresst das erreichbar sein, den andern das genau Gegenteil. Auch hierüber sollte man sich selbst bewusst werden und sein Umfeld entsprechend informieren.
Gerade wenn man dazu neigt zu glauben, dass es doch nicht schadet, auch im Urlaub die eine oder andere Aufgabe zu erledigen, sollte man gute Sparringpartner haben. Selbst zu merken, wann die „Grenze“ der Erreichbarkeit überschritten ist, ist nämlich extrem schwierig! Da hilft schon mal eine externe Regulierung!
(Urlaubs)Fazit:
Ich glaube schon, dass wir lernen müssen, wieder wirklich abzuschalten und „weg“ zu sein. Immerhin war der Abwesenheitsassistent per Mail eine der ersten Künstlichen Intelligenzen, die uns temporär ziemlich gut ersetzt hat 😉.