Karriere ist linear, exponentiell oder treppenförmig in ihrem Verlauf. So kennen wir es klassischerweise. Ähnlich verhält es sich mit der Übernahme von Führungsverantwortung. Und leider meistens auch mit der Arbeitszeit.
Aber warum eigentlich? Hat das je jemand wirklich hinterfragt? Müssen sich Arbeitszeit, Führungsverantwortung und Position im Unternehmen immer proportional zueinander verhalten? Oder gäbe es da nicht viel sinnvollere – ja: natürlichere Organisationsformen?
Ich finde ja. Das hat mich zu meinem neuen Buch geführt, das im Februar erscheinen wird: Lebensphasenorientiertes Leadership
Der Grundgedanke
„Ich bin dann mal weg“…
Haben Sie sich das auch schon ein paar Mal vorgestellt, wie es wäre, einfach mal den Alltag hinter sich zu lassen und für eine Zeit mal etwas ganz anderes zu machen?
Während die Flexibilisierung der Arbeitszeit in vielen Unternehmen längst mehr ist als eine „New Work Idee“, fehlt es oft noch an konkreten Ansätzen wie sich auch für Führungskräfte Arbeitszeiten bzw. „Freizeiten“ anders denken lassen. Denn haben nicht auch Sie Hobbies, Familie, Freunde oder das Bedürfnis sich selbst einmal rauszunehmen aus dem alltäglichen Arbeitsleben?
Die Idee der Work-Life-Balance scheint überholt. Wir trennen nicht Arbeit und Leben und verteilen verfügbare Zeitkontingente planbar auf. Aber Fakt ist: Unser Tag hat nur 24 Stunden. Und Führung beansprucht Zeit.
Das Bild der Führungskraft, die ihr Leben zugunsten der Position bzw. zugunsten der Karriere „opfert“, kann nicht mehr attraktiv sein. Es ist auch nicht so, dass man pauschal behaupten kann, dass bestimmte Personengruppen mehr Zeit für eine Führungsposition haben als andere – zum Beispiel Männer, weil Frauen den Haushalt schmeißen oder Singles, weil sie sonst keine Freuden im Leben haben. Die Übertreibung ist bewusst gewählt – denn genau das Denken steckt hinter tradierten Führungsmodellen und den Ansprüchen, die an Führungskräfte gerichtet werden.
Für mein Buch (und so denke ich auch im „echten“ Leben 😉 !) gehe ich davon aus, dass theoretisch jede:r von uns gleich viel Zeit und Lust auf Führung hat – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu mag auch die Vergütung zählen, das steht außer Frage. Aber es sind weitaus mehr Faktoren, die Führung attraktiv machen. Viel wichtiger: es sind nicht nur individuell unterschiedliche Vorstellungen, sondern eben auch an Lebensphasen adaptierbare Organisationsmodelle.
The Circle of Life
Um die Idee des Buchs zu skizzieren, starte ich mit dem Eintritt in die Arbeitswelt – ganz exakt müssten wir tatsächlich bei der Geburt eines Menschen starten, denn was uns prägt, sind natürlich entscheidend auch die ersten Lebensjahre: wie erleben wir „Führung“ als Ausdruck der Arbeitsaufteilung von Eltern, in Kita, Schule, Ausbildung, Sportverein etc.? Unser Führungsbild prägt uns früh. Spätestens aber mit dem eigenen Eintritt in die Arbeitswelt stehen Führungspositionen erstmals in greifbarer Nähe. Ohne Berufserfahrung aber schier unmöglich – oder? Sicherlich ist ein gewisses Maß an Erfahrung notwendig, um Verantwortung zu übernehmen. Wichtiger aber sind Empathie und Kommunikationsstärke. Führung in einer frühen Phase des Arbeitslebens braucht also Anleitung. Eine junge Führungskraft kann gestärkt werden durch Mentoring, durch geteilte Führung, durch freie Zeit für Fort- und Weiterbildung.
Gleichzeitig mag es sein, dass gerade junge Menschen – geprägt durch Rollenbilder vorheriger Generationen – Teilzeitpositionen präferieren, um „noch etwas vom Leben zu haben“. Das sollte man keineswegs per se als Faulheit oder mangelnden Ehrgeiz abtun. Es ist der Wunsch nach Vielfalt und Freiheit sowie das Bestreben die Welt zu erkunden – durchaus Wünsche, die sehr gut zu einer Führungskraft passen!
Denken wir weiter an die Phase der Familiengründung. Weder Karriere noch Führungsverantwortung hören auf mit der Elternzeit. Aber Führung ist auch in hohem Maße die Übernahme von Verantwortung gegenüber Menschen. Immer wieder erlebe ich es in Gesprächen mit Führungskräften und auch in meinem eigenen Job, wie emotional anspruchsvoll Führung ist. Es ist „people business“. Wenn man dann nachts nicht durchgeschlafen hat oder sich um ein krankes Kind sorgt, dann hat man weniger Zeit für Führung. Dem müssen entsprechende Modelle Rechnung tragen. Eltern sind nicht die schlechteren Führungskräfte, weil sie Kinder bekommen haben. Vielleicht trifft oft sogar das Gegenteil zu. Aber sie „führen“ nun auch noch an anderer Stelle. Bei gleichem Zeitkontingent.
Ähnlich stellt sich übrigens die Situation bei pflegenden Mitarbeitenden dar. Eine Führungskraft, die keine Kinder hat oder deren Kinder “aus dem Gröbsten raus sind“ ist nicht besser geeignet, weil sie (wieder) mehr Zeit hat. Mag ja sein, dass sie für die Pflege der Eltern zuständig ist, sich ehrenamtlich engagiert oder endlich auch Zeit für sich selbst gestalten möchte. Der „Lebensarbeitskreis“ schließt sich vor dem Austritt aus dem Arbeitsleben. Lange gehören Führungskräfte dann noch nicht zum alten Eisen. Aber vielleicht wollen sie ihre Arbeitszeit reduzieren. Gerade dann können Führungskräfte noch einmal zu voller Stärke auflaufen: Wissen teilen, junge Kräfte anleiten, alte und neue Organisationsmodelle kombinieren… Auch das braucht eine neue Arbeitszeit.
Führungskräfte sind keine Einzelkämpfer und erst recht nicht mit einer Ritterrüstung versehen oder gegen alle Angriffe gefeit. Menschen können jedoch Herausforderungen dann resilient bewältigen, wenn sie dabei unterstützt werden. Damit Führungskräfte Mitarbeiter:innen dabei unterstützen können, ihre Resilienz zu aktivieren, müssen sie zuerst gut für sich selbst sorgen. Fürsorge für die eigene Person bildet das Fundament, um zuverlässig Verantwortung für andere übernehmen.
Führungsarbeit ist Beziehungsarbeit und in hohem Maße kommunikativ. Wenn wir solche Kompetenzen von Führungskräften erwarten, dann können wir nicht gleichzeitig glauben, dass sie isoliert in einer Wohnung auf einen Job warten, der ihre gesamte Zeit beansprucht. Sondern genau dann haben wir es mit Menschen zu tun, die ein Netzwerk pflegen. Ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden je nach persönlichem Fokus auch den Job variabel einzubinden.
In vielen Fällen sind solche Lebensphasen planbar und dauern eine gewisse Zeit lang an. Das macht es gut möglich, das Arbeitgeber entsprechende Modelle vorhalten und gemeinsam mit den Führungsverantwortlichen tragfähige Vereinbarungen abstimmen. Manchmal aber treffen uns auch Lebensereignisse unerwartet. Wenn wir Führung ganzheitlich denken, passen aber auch solche ad hoc Änderungen. Flexibilität macht widerstandsfähig!
Die einzelnen Modelle, die ich im Buch beschreibe, und über die ich mich mit Führungskräften ausgetauscht habe, sind in den verschiedenen Lebensphasen einsetzbar. Es geht zum Beispiel um
• Sabbatical
• Workation
• Führung in Teilzeit
• Remote führen aus dem In- und Ausland
Dabei beleuchte ich zunächst, wie Arbeitgeber und Personalverantwortliche die Motivationen ihrer Führungskräfte erkennen und wahrnehmen – etwa Lebenssituationen, die eine Auszeit einfordern.
Wie immer lege ich viel Wert auf operative Umsetzung. Dazu gibt es Entscheidungshilfen (welches Modell ist gut für wen und wann), Argumentationshilfen (wie erkläre ich es dem Team, den anderen Abteilungen, Vorgesetzen etc.), wie nimmt man „Skeptiker“ mit und bleibt relevant auch in der Auszeit. Nicht zuletzt sind es auch die rechtlichen Aspekte, die wichtig sind. Auszeiten sind nur dann wertvoll, wenn sie sicher abgegrenzt sind.
Die Zukunft
Immer mehr Firmen bieten ihren Mitarbeitenden flexible Arbeitsmodelle an und ermöglichen individuelle Auszeiten. Dieses Buch löst den scheinbaren Widerspruch zwischen Auszeit und Führungsverantwortung auf. Es bietet einen wichtigen Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten eines lebensphasenorientierten Leaderships und beschreibt, wie man seine individuelle Auszeit organisieren und umsetzen kann. Ebenso wird auf relevante rechtliche Aspekte eingegangen. Besonders motivierend sind die ganz persönlichen Erfahrungsberichte von Führungskräften, die den Schritt bereits gewagt haben und Mut machen, die eigene Führungsrolle lebensphasenorientiert zu gestalten.
Ich hoffe Sie freuen sich ebenso wie ich auf die Lektüre des Buches. Mir haben die Schreibarbeit und die Recherche sehr viel Spaß gemacht und ich wünsche mir, dass wir Führung wieder attraktiv gestalten. Für alle, die Lust auf Arbeit „mit Menschen haben“. Und auf ein erfülltes Leben.