Warum wir gerade jetzt lernen müssen, Freiheit und Struktur neu zu verbinden.
Wa wäre ein fast idealer Zustand?
Ein Arbeitgeber ermöglicht Homeoffice und er vertraut darauf und kann auch darauf vertrauen, dass dies nicht mißbraucht wird.
Er würde so handeln, wenn er sicher ist, dass der Arbeitnehmer verbindlich ist, indem er im Homeoffice eine 100% Arbeit leistet und diese zum perfekten Zeitpunkt abliefert.
Leider entspricht die Wirklichkeit dieser Zielvorstellung noch nicht. Aber sie ist erreichbar.
In unsicheren Zeiten greifen wir nach dem, was wir kennen. Das ist menschlich. Und doch: Gerade diese Rückgriffe machen sichtbar, wie sehr sich unsere Arbeitswelt bereits verändert hat – ob wir es wollen oder nicht. Sie werden zu Rückschritten oder als solche empfunden. Und sie zeigen auf, dass eine Balance von Vertrauen und Verbindlichkeit leider noch nicht erreicht ist.
Während in der Corona-Zeit plötzlich vieles möglich war – Homeoffice, neue Führungskultur, kreative Prozesse, Vertrauen statt Kontrolle – scheint die aktuelle Dauerkrise das Gegenteil zu bewirken. Wir erleben gerade eine bemerkenswerte Tendenz: Zurück ins Büro. Zurück zu klaren Anweisungen. Zurück zu Führung, die entscheidet – nicht moderiert. Zurück zur klassischen Leistungsmessung.
Und hier liegt ein Gegensatz: Wir wünschen uns Orientierung, Stabilität, Führung. Gleichzeitig wollen wir Autonomie, Flexibilität, Selbstwirksamkeit. Beides geht – aber nur, wenn wir es bewusst zusammendenken.
Was es jetzt braucht, ist ein neues Verständnis von Leistung. Nicht im Sinne von Kontrolle, sondern im Sinne von Klarheit und Verbindlichkeit. Nicht als Rückfall in alte Muster, sondern als Weiterentwicklung.
Wir müssen Freiheit und Regeln wieder in Beziehung setzen. Vertrauen und Verbindlichkeit in Balance bringen. Flexibles Arbeiten messbar machen, ohne Kontrolle zum Selbstzweck zu erheben.
Ich erlebe diese Paradoxien täglich – im Angestelltenleben wie in der Selbstständigkeit. Und genau deshalb ist jetzt die Zeit, die Spielräume neu zu definieren:
Was ist gute Leistung?
Was braucht es, um sie zu ermöglichen – und zu erhalten?
Nicht zurück in alte Kontrolle. Sondern vorwärts in eine Arbeitswelt, die beides kann: Freiheit und Verantwortung – Dank Vertrauen und Verbindlichkeit.
Das Arbeitsrecht als Stabilitätsanker im Wandel
Wenn Freiheit auf Struktur trifft, wenn Flexibilität auf das Bedürfnis nach Kontrolle prallt – dann wird oft gefragt: Wer gibt eigentlich den Rahmen vor? Und überraschenderweise zeigt sich: Das Arbeitsrecht kann genau dieser Rahmen sein.
Denn das Arbeitsrecht ist nicht starr. Es ist ein Gestaltungsinstrument. Und genau das ist in dieser Übergangszeit so wichtig.
In Zeiten der Verunsicherung bietet das Arbeitsrecht Verlässlichkeit und Klarheit – und gleichzeitig genug Spielräume, um moderne Arbeitsformen zu ermöglichen.
Es schützt – ja. Aber es verpflichtet auch: zur Transparenz, zur Vereinbarung, zur Kommunikation.
Nehmen wir die Arbeitszeiterfassung: Viele erleben sie als Rückschritt. Doch in Wahrheit fordert sie nur das ein, was flexible Arbeit so dringend braucht: Bewusstsein. Wer arbeitet wann, wie viel, woran? Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Gleichgewicht – zwischen Schutz und Selbstverantwortung.
Oder nehmen wir Zielvereinbarungen: Sie sind rechtlich nicht vorgeschrieben, aber längst gängige Praxis. Und sie zeigen: Leistung muss definiert, verständlich gemacht und gemeinsam getragen werden. Gerade im hybriden Arbeiten ist das kein „Nice-to-have“, sondern eine Notwendigkeit, damit Vertrauen nicht ins Leere läuft.
Das Arbeitsrecht stellt also nicht nur Regeln auf – es definiert Bedingungen, unter denen Flexibilität und Verlässlichkeit koexistieren können. Und genau diese Balance brauchen wir, wenn wir Leistung neu denken wollen.
Nicht als Rückfall in alte Kontrolle, sondern als Vorwärtsbewegung mit klaren Leitplanken.
Wenn Lernen zum Luxus wird – sparen wir an der falschen Stelle?
In Zeiten von Rezession, Kostendruck und Restrukturierung fällt immer wieder der Satz:
„Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren.“
Doch was ist dieses „Wesentliche“ eigentlich?
Ist es das, was wir schon kennen – Routinen, Prozesse, Strukturen? Oder ist es nicht vielmehr das, was wir noch nicht wissen, das, was wir neu denken und erproben müssen?
Was ich derzeit in vielen Unternehmen beobachte – und auch in meiner eigenen Arbeit als Beraterin und Coach spüre – ist ein gefährlicher Reflex:
Es werden genau die Angebote zurückgefahren, die uns helfen würden, mit Komplexität umzugehen.
- Coachings werden gestrichen.
- Weiterbildungen vertagt.
- Workshops abgesagt.
- Reflexion? „Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“
Dabei wäre genau jetzt die Zeit, um zu lernen. Um neue Perspektiven zuzulassen. Um Denkfehler zu identifizieren. Um zu verstehen, wie wir führen, arbeiten, entscheiden – und was uns wirklich weiterbringt.
Lernen ist kein Luxus. Lernen ist das Kerngeschäft einer resilienten Organisation.
Denn wenn sich Rahmenbedingungen verändern – technologisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich – dann braucht es Menschen, die bereit sind, mitzudenken, umzudenken und weiterzudenken.
Wer heute Investitionen in Weiterbildung, Entwicklung und Coaching kürzt, spart nicht – er konserviert. Und zementiert damit eine Arbeitswelt, die bereits Risse zeigt.
Es ist kein Zufall, dass viele Unternehmen gerade dort ins Stocken geraten, wo sie sich nur noch auf „das, was war“ verlassen – anstatt auf das, was sie lernen könnten.
Coaching, Beratung, Perspektivwechsel – das ist nicht Beiwerk. Das ist der Motor gegen den Fallback. Wer das erkennt, hat den ersten Schritt in Richtung Zukunft schon gemacht.
Zwischen Leistung und Bedürfnis – drei Ideen für eine neue Balance
Vielleicht haben wir dem Leistungsgedanken in den letzten Jahren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt – weil wir so sehr damit beschäftigt waren, Strukturen zu modernisieren, Arbeit flexibler zu machen, die Bedürfnisse von Mitarbeitenden sichtbarer zu machen. Und das war richtig.
Aber jetzt braucht es den nächsten Schritt:
Leistung und Bedürfnisorientierung gemeinsam zu denken.
Denn das eine funktioniert ohne das andere nicht mehr. Und es gibt kein echtes „Zurück“ – zumindest keines, das uns wirtschaftlich stark, zukunftsfähig und menschlich macht.
Meine drei Ideen für eine hybride Arbeitswelt, die Unternehmen und Mitarbeitenden gleichermaßen gerecht wird:
Verlässliche Flexibilität
Nicht entweder Präsenz oder Homeoffice, sondern klare Vereinbarungen mit Struktur und Spielraum. Verantwortung wird geteilt – aber nicht beliebig.
Leistung sichtbar machen – ohne Misstrauen
Transparente Ziele, nachvollziehbare Prozesse und echtes Feedback ersetzen blinde Kontrolle. Das stärkt Vertrauen und schafft Klarheit – auch remote.
Lernen als Teil der Leistungskultur
Unter extremer Dynamik ist Lernen kein Extra – sondern Voraussetzung für Leistung. Wer nicht lernt, bleibt stehen. Wer lernt, bleibt handlungsfähig.
Krise ist der komplexeste Arbeitsauftrag.
Nehmen wir ihn an – mit allem, was wir gelernt haben, und mit aller Offenheit für das, was kommt.
Idee
Erfahrung zu haben bedeutet nicht, alles beim Alten zu belassen.
Es heißt nicht: so machen wie immer.
Es heißt: bewährtes Wissen neu interpretieren, mit aktuellem Know-how kombinieren, offen sein für andere Perspektiven – und Erfahrung als Fundament für Innovation nutzen.
Denn wer Erfahrung nur wiederholt, verwaltet die Vergangenheit.
Wer sie weiterdenkt, gestaltet Zukunft.