In einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt, in der die Bedeutung von Zeit, Leistung und Anwesenheit neu definiert wird, ist die Diskussion über die 4-Tage-Woche ein wichtiger Schritt in Richtung flexiblerer Arbeitsmodelle. Doch diese Diskussion bleibt oft eindimensional, wenn wir nicht die anderen Dimensionen der Agilität in Betracht ziehen. Als Arbeitsrechtlerin, die sich dem New Work und der agilen Arbeit „verpflichtet“, betone ich immer den „ganzheitlichen Blick“ auf Arbeit. Es gibt so vielfältige Erscheinungsformen agiler Arbeit, die als Leitfaden für unternehmerische Entwicklungen dienen und zur Neuausrichtung des Unternehmen Richtung Zukunft beitragen können.
Ich lenke hier gerne die Aufmerksamkeit über die Arbeitszeit hinaus auf die Dimensionen Ort, (Büro)räum, Organisation, Methode und Performance. Jede dieser Dimensionen bietet die Möglichkeit zur Flexibilisierung, die nicht nur die heutige, sondern auch die künftige Arbeitswelt grundlegend verändern kann.
#Agiler Arbeitsort: Die Dimension des Ortes
Die Flexibilität des Arbeitsorts ist ein Eckpfeiler der agilen Arbeitsweise.
Zum Arbeiten brauchen wir schon längst kein Büro mehr. Viele Unternehmen bezeichnen sich als agil und sprechen von neuem Arbeiten, wenn sie Arbeitsräume beziehungsweise den Arbeitsort auflösen
• Remote-Arbeit: In der digitalisierten Welt ist es möglich, viele Aufgaben von überall aus zu erledigen. Die Einführung von Remote-Arbeit ermöglicht es den Mitarbeitenden, ihren Arbeitsort flexibel zu wählen. Dies kann zu einer besseren Work-Life-Balance führen und den Talentpool für Unternehmen erweitern, da sie nicht mehr gezwungen sind, Mitarbeitende vor Ort einzustellen.
• Coworking Spaces: Coworking Spaces sind flexible Arbeitsumgebungen, die es Mitarbeitenden ermöglichen, außerhalb des traditionellen Büros zu arbeiten. Diese Spaces bieten eine dynamische Umgebung, in der Mitarbeitende verschiedener Branchen und Gewerke zusammenarbeiten können. Dies fördert den interdisziplinären Austausch und die Kreativität.
#Agile Räume: Die Dimension der (Büro)räume
Neben der Erweiterung von Arbeitsorten wird oft auch eine neue Gestaltung von Arbeitsräumen und Arbeitsplätzen als Unterstützung von neuen Arbeiten genannt.
Das optische, ergonomische oder kollaborative Design von Räumen („workspaces“) kann einen erheblichen Einfluss auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden haben.
• Flexible Arbeitsplatzgestaltung: Statt fester Arbeitsplätze können Unternehmen flexible Arbeitsplatzkonzepte einführen, bei denen die Mitarbeitende je nach Bedarf verschiedene Bereiche des Büros nutzen können. Dies fördert die Zusammenarbeit, schafft Vielfalt und steigert die Kreativität.
• Büro-Design für Wohlbefinden: Die Gestaltung von Büros kann auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden ausgerichtet werden, indem beispielsweise natürliche Elemente wie Pflanzen oder Tageslicht in die Räume integriert werden. Dies kann die Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeiter steigern.
#Agile Arbeitsorganisation: Die Dimension der Organisation
Die Organisationsstruktur eines Unternehmens kann ebenfalls flexibilisiert werden, um agiler zu arbeiten. Von agilen Arbeitsorganisationen sprechen wir, wenn sich diese als Netzwerke darstellen und durch eine besonders gemeinschaftliche und flexible Zusammenarbeit geprägt sind. Dabei geht es um die Struktur genauso wie um eine Grundhaltung der Menschen, die in dieser Struktur wirken und arbeiten.
• Flache Hierarchien: Statt einer hierarchischen Struktur können Unternehmen auf flache Hierarchien setzen, in denen Entscheidungen dezentral getroffen werden. Dies ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Veränderungen und fördert die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden.
• Projektteams: Anstelle von festen Abteilungen können Unternehmen Projektteams bilden, die je nach Bedarf für bestimmte Aufgaben zusammengestellt werden. Dies erhöht die Flexibilität und ermöglicht es, Fachwissen gezielt einzusetzen.
#Agile Arbeitsmethoden: Die Dimension der Methode
Die Art und Weise, wie Arbeit organisiert und durchgeführt wird, kann ebenfalls flexibilisiert werden. Agile Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit agilen Methoden arbeiten. Diese gewinnen seit Jahren stark an Bedeutung. Im IT-nahen Umfeld als auch in der Softwareentwicklung sind sie schon längst eher der Standard als die Ausnahme.
• Agile Methoden: Die Einführung agiler Methoden wie Scrum oder Kanban ermöglicht es Unternehmen, flexibler auf Kundenanforderungen zu reagieren und iterative Arbeitsprozesse zu etablieren. Dies fördert die Innovation und die Kundenorientierung.
• Design Thinking ist eine kreative Problemlösungsmethode, die auf Empathie, Zusammenarbeit und Experimentieren basiert, um innovative Lösungen für komplexe Probleme zu entwickeln.
#Agile Leistungsmessung: Die Dimension der Performance
Die traditionelle Leistungsbewertung basiert oft auf starren Kriterien. In agilen Systemen ist nicht allein das Zielergebnis im Fokus. Neben der Zielerreichung ist ebenso die gemeinsame Zusammenarbeit und das gemeinsame Lernen und damit stetiger Fortschritt der Organisation im Zentrum. Innovatives Performance Management strebt an über die systematische Ausrichtung des Mitarbeiterhandelns an den Zielen eines Unternehmens einen Beitrag zum nachhaltigen monetären und nicht- monetären Unternehmenserfolg zu sichern.
• Ergebnisorientierung vs. Anwesenheit: Unternehmen können von einer anwesenheitsorientierten zur ergebnisorientierten Bewertung übergehen. Mitarbeitende werden anhand ihrer Leistung und Ergebnisse bewertet, unabhängig von der Zeit, die sie im Büro verbringen. Dies fördert die Produktivität und die Eigeninitiative.
• 360-Grad-Feedback: Statt nur top-down Feedback zu erhalten, können Mitarbeitende 360-Grad-Feedback einholen, das von Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen kommt. Dies ermöglicht eine umfassendere Bewertung und fördert die persönliche Entwicklung.
Die Flexibilisierung der Dimensionen Ort, Raum, Organisation, Methode und Performance bzw. Leistungsmessung kann dazu beitragen, dass Unternehmen agiler werden und besser auf die Anforderungen einer sich ständig verändernden Arbeitswelt reagieren können. Diese Flexibilität bietet nicht nur Vorteile für die Mitarbeiter, wie eine bessere Work-Life-Balance und mehr Zufriedenheit, sondern auch für die Unternehmen selbst, die innovativer und wettbewerbsfähiger werden.
Und dann doch noch… #agile Arbeitszeit
Arbeitszeit, die immer passt.
Das ist der „große Wunsch“ sowohl auf seitens der Mitarbeitenden wie auch der Unternehmen. Agile Arbeitszeit bezieht sich auf flexible Zeitmanagement- und Arbeitsmethoden, die es den Mitarbeitern ermöglichen, ihre Arbeitszeiten und -orte anzupassen, um eine individuelle Bedürfnisorientierung sicherzustellen. Gefühlt „schon immer“ buhlen Arbeitgebende und Mitarbeitende um dieselbe Ressource. Beide wollen von diesem endlichen Gut „Zeit“ so viel wie möglich für sich nutzen. Um Agilität viel stärker leben zu können, gibt es schon jetzt einige Möglichkeiten für Unternehmen zeitlich flexibler zu agieren. Dabei gilt grundsätzlich: agile Arbeitszeit ist eine Haltung. Das zeigt nicht zuletzt die Diskussion um die 4-Tage-Woche, bei der es viel häufiger emotional um vermeintlich wegfallende Arbeitszeiten geht als rational um eine neue Organisation gleicher Zeitanteile.
Hier braucht es vor allen Dingen Kreativität für die Lösungsentwicklung, (arbeits-)rechtliche Kompetenz, Mut für die Umsetzung neuer Lösungen und eine Mediationskompetenz, um wirklich in beiderseitigem Interesse und mit einem gemeinsamen Ziel zu agieren.
Fazit:
Der Modellversuch zur 4-Tage-Woche wird als höchst innovativ angepriesen. Und doch geht es letztlich „nur“ darum Arbeitszeiten zu flexibilisieren. Aber bitte nicht nur mit einem Modell und nur mit einer Erscheinungsform.
Agile Arbeit hat eben genau das zum Ziel: Zeit anders zu organisieren, aber eben nicht, sie ein neues Korsett zu quetschen. Vielmehr müssen wir flexibel in ganz viele Richtungen denken – in Sachen Zeit, Vergütung, Ort, Methode, Organisation und Leistungsmessung.
Bitte reduziert die Veränderung der Arbeitswelt nicht nur auf die Zeitdimension. Das würde der Komplexität des Veränderungsprozesses nicht gerecht. Außerdem löst es kontroverse Diskussionen aus, die so gar nicht nötig wären, wenn man ganzheitlich argumentieren würde.
Es lohnt sich also den Blick zu öffnen auf die vielfältigen Potenziale, die agiles Arbeiten bietet. Die 4-Tage-Woche ist nur eines vieler möglicher Erscheinungsformen von #Agilitätskompetenz, die wir dringend benötigen, um Geschäftsmodelle Richtung Zukunft aufzustellen.
Grundlage agilen Arbeitens ist (und das gilt für alle Dimensionen) gegenseitiges Vertrauen und ein Verständnis, dass Mitarbeitende in der Lage sind ihre Arbeit sehr weitgehend selbst zu organisieren und sich auch mit dem Team und den Kolleg:innen abzustimmen
Quellen/Hinweise
https://shop.haufe.de/prod/agile-arbeit-rechtssicher-gestalten
https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:7112310583672074240/