Arbeit mit Herz im Ehrenamt Britta Redmann

Ehrenamt oder Wenn durch Geld nichts zu vergüten ist

Inhalt

Ich habe aktuell viel Zeit – und wiederum nicht. Darum wird mein Blogartikel vielleicht ein wenig anders als gewohnt. Er teilt persönlichere Gedanken und verbindet meine Themen Arbeitsrecht, Social Media Präsenz, Agilität und Ehrenamt auf eine andere Weise miteinander.

Zeit

Wenn ich behaupte, dass ich aktuell mehr Zeit habe, dann ist das wahr und falsch zugleich. Eine mehr oder weniger erzwungene (Orts-)Auszeit, in der neben Job, Workshops und Buchprojekten gleich beide Elternteile nicht auf dem Damm sind, verschafft wohl kaum Zeit. Aber sie sortiert die Zeit neu. Ich muss mich – und das liegt mir eigentlich gar nicht – einer Zeitordnung unterwerfen, die ich nicht autark bestimmen kann.
Natürlich kann ich das auch im Alltag zwischen HR und Arbeitsrecht nicht wirklich, wo Termine, Konferenzen und Deadlines mein Leben bestimmen. Aber das fühlt sich selbstgewählter an. Da führe ich mein eigenes „Work-Life-Regime“. Jetzt ist mir das Zepter ein wenig aus der Hand genommen worden. Das schafft auch einmal ruhige Momente, weil ich räumlich gesehen aus dem Zentrum des Trubels und meinem Pendelalltag zwischen Köln und Aachen ausgestiegen bin. Aber Ruhe im Kopf bedeutet das natürlich nicht. Weil es viel zu viel zu organisieren gibt, eventuell irgendwo gerade etwas liegenbleibt und ich zu viele Fäden nicht allein in der Hand habe. Das bin ich nicht gewohnt. Das erfordert eine neue Zeitordnung.

Soziale Netzwerke

Wie sozial Twitter, Instagram und Facebook wirklich sind liegt im Auge des Betrachters und vielmehr noch in der Nutzung durch den Gestalter. Ich bin leidenschaftliche Social Media Nutzerin. Und ja, es gaukelt manchmal auch eine heile Welt vor. Für mich ist es aktuell auch genau das – es ist die Fortsetzung des normalen Lebens, wenn es im wirklichen Leben wackelt. Nicht dramatisch – in meiner Situation sind unzählige Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen und möchten. Aber wir haben uns doch alle nach Möglichkeit Strukturen aufgebaut, die uns bei aller Dynamik und Unplanbarkeit des Alltags Sicherheit geben. Dazu kann eben auch ein soziales Netzwerk gehören. Bilder von Urlauben, Erfolge von Kollegen, ein kurzer netter Gruß. Das hält einen geregelten Ablauf zumindest ein wenig am Laufen. Ein Post am Morgen kann genauso viel Routine ins Leben bringen wie der Kaffee und die Tageszeitung. Bevor das momentan unplanbare „real life“ meine Tagesstruktur bestimmt.

Vergütung

Es gibt Situationen im Leben – sogar weit mehr, als uns im ersten Moment oft bewusst sind – da kann man Leistung einfach nicht vergüten. Ich habe mich im letzten Jahr mit den verschiedensten Formen neuer Bezahl- und Jobmodelle beschäftigt. Aber jemanden fair, gerecht und wertschätzend zu vergüten setzt voraus, dass da jemand ist, den ich vergüten kann. Fachkräftemangel – den Begriff verwenden wir inzwischen schon so selbstverständlich, denken uns neue Programme, agile ThinkTanks und Wohlfühlwelten für den potenziellen Managementnachwuchs aus. Aber hier auf dem Land merkt man davon nichts.
Pflegenotstand – ein viel älterer Begriff, den wir noch mehr internalisiert und damit weit nach hinten in unserer Gedanke- und Lebenswelt verdrängt haben. Den gibt es wirklich. Und der betrifft uns alle ganz lebensnah. In allen Regionen. Wir können davor nicht „fliehen“. Wenn junge Menschen auf dem Land keinen Job bekommen gehen sie in die Städte. Wenn ältere oder pflegebedürftige Menschen auf dem Land keine Hilfe bekommen – da was dann? Dann kann ich – glücklicher Weise mit einem flexiblen Job, der Home Office ermöglicht, und unter Auslassung all der verrückten Workshops, Reisen, Meetups und Diskussionen – hier überbrücken. Aber kann das jeder? Wohl kaum. Und dann ist da niemand. Egal wie ich ihn vergüte.

Ehrenamt

In viel mehr Bereichen als wir es offensichtlich im Alltag wahrnehmen sind wir auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen. Wir merken es nur immer erst dann, wenn es akut ist. Und vergessen es danach wieder. Ehrenamtliche Strukturen sind fast noch silobehafteter als Konzerne es sind. Der Förderverein der Schule rekrutiert sich aus Eltern während der Schulzeit. Die freiwillige Feuerwehr vor Ort aus den Menschen im Ort. Freiwillige Helfer in Seniorenheimen sind für Nichtbetroffene unsichtbar genauso wie Rettungssanitäter, wenn wir keinen Unfall haben, Schöffen, wenn wir nicht vor Gericht sind oder Jugendbetreuer, wenn wir keine Kinder haben.
Große Katastrophen lösen kurzzeitige Spendenwellen aus, die danach ebenso schnell abebben.
Auf der anderen Seite sind dort Menschen, die sich engagieren möchten, die aber keinen Zugang zu einer der genannten Gruppen finden. Menschen, die Hilfe anbieten möchten, aber denen bürokratische Hürden in den Weg gestellt werden oder die sich durch Skandale über Spendengelder von großen Institutionen abgeschreckt fühlen. Nicht zuletzt die DSGVO hat noch einmal einen Teil dazu beigetragen, dass ehrenamtliche Arbeit an Attraktivität nicht eben gewinnt.

Wie passt das jetzt alles zusammen?

Mit Strukturen und Menschen im Ehrensamt beschäftige ich mich schon immer. Die jetzige Situation – und da unterscheide ich mich natürlich nicht von allen anderen Menschen, die persönlich betroffen noch einmal eine neue, intensivere Sicht auf ein Thema bekommen – hat mir gezeigt, dass es auf der einen Seite ganz wunderbare Netzwerke gibt, die wir in Situationen, in denen wir für uns, für unsere Familie oder für Freunde Hilfe benötigen, nutzen können und auf der anderen Seite dies doch immer noch nicht ausreicht. Auf einen Tweet letzte Woche kamen zahlreiche Reaktionen, die ich auf jeden Fall – mit wieder mehr selbstbestimmter Zeit – noch weiter verfolgen werde. Eine Initiative möchte ich hier exemplarisch herausstellen, weil sie so wunderbar die Aspekt Zeit, Engagement, Regionalität und Digitalisierung zusammenführt.

Helpteers.net führt Menschen, Projekte und Organisationen zusammen. Egal wie klein oder groß möchte Georg mit seinem Team Crowdmoving Projekte bündeln, Ideen zusammen bringen, Helfer und Hilfebedürftige vernetzen. Wir brauchen genau solche Ideen, die gleichzeitig auch die Technik mitdenken. Menschen wollen helfen – oft wissen sie aber nicht wo. Und dann sieht man das kleine Projekt nebenan vielleicht nicht. Oder glaubt, dass Vereine irgendwie „Closed Circle“ sind. Ehrenamt braucht Kommunikation. Menschen brauchen Kommunikation. Und sie brauchen Netzwerke. So können sie sich gegenseitig Unterstützung geben ganz unabhängig von Vergütungsstrukturen. Durch Zeit und individuelle Fähigkeiten. Helpteers.net ist so ein Sprachrohr.

Fazit

Ein Fazit gibt es dieses Mal nicht. Es gibt einen Dank dafür, dass ich meine Plattform dieses Mal ein wenig anders nutzen konnte und den Wunsch, dass wir gemeinsam solche Projekte bekannter machen. So können wir unsere unterschiedlichen Kompetenzen zusammenbringen zugunsten von Menschen. Und auch wenn wir im Ehrenamt keine Gegenleistung oder Vergütung erwarten – selbst Hilfe zu bekommen kann uns allen nur gut tun. Wenn da jemand ist, den wir vergüten könnten. Aus unserem sozialen Netzwerk.

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